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Blauhelm-Sanitäter nach Kambodscha

■ Rühe sieht Einsatz durch Grundgesetz legitimiert und spricht von Konsens mit der SPD/ Keine entsprechenden Pläne für Jugoslawien vorgesehen/ Bewußtseinswandel bei den Deutschen

München (ap/taz) — Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hat am Montag in München 140 Sanitätssoldaten verabschiedet, die im Rahmen der Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen (UNO) nach Kambodscha fliegen. Der wenige Wochen alte Einsatzbeschluß der Bundesregierung für die Sanis war nach Rühe auf Bitten des Generalsekretärs der UNO erfolgt. Er sei durch die Gesetze der Bundesrepublik gedeckt. Rühe wiederholte damit die — umstrittene — Rechtsauffassung der Bundesregierung, wonach die Beteiligung an „peace-keeping missions“ der UNO dem Grundgesetz nicht widersprechen würde. Demnach scheint mit der Entsendung der Sanitäter, die völkerrechtlich als Soldaten gelten, auch das Projekt einer Verfassungsänderung vom Tisch zu sein, mit dem Regierung und Opposition rechtlich eindeutige Verhältnisse schaffen wollten. Noch zu Beginn des Jahres war von außenpolitischen Sprechern der CDU die Notwendigkeit hervorgehoben worden, einen breiten innenpolitischen Konsens für die deutsche Teilnahme an „Blauhelm-Operationen“ zu schaffen. Der SPD-Verteidigungsexperte Walter Kolbow teilte am Montag mit, seine Partei werde der Sani-Entsendung zustimmen. Die Aktion überschreite aber den Rahmen der humanitären Hilfe, weshalb sie in der „rechtlichen Grauzone der Verfassung“ anzusiedeln sei. Notwendig bleibe eine rechtliche Klarstellung, am besten durch eine Neufassung von Artikel 87a Grundgesetz, die unbewaffnete Einsätze auf UNO- Bitten hin ermöglichen würde.

Der Verteidigungsminister sprach von einer gewachsenen „politischen Kultur der Zurückhaltung“ beim Einsatz deutscher Truppen auch im Rahmen der UNO. Er lehnte eine analoge Aktion von Sanitätern für Bosnien-Herzegowina ab, „schon aus historischen Gründen“. Gemeint war offensichtlich der Überfall deutscher Truppen auf Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg.

Daß die Bundesregierung glaubt, jetzt mit dem Sani-Einsatz vorpreschen zu können, hängt mit einem Bewußtseinswandel in der deutschen Bevölkerung zusammen. Zwar gibt nach einer Untersuchung der RAND-Corporation nach wie vor eine große Mehrheit der Deutschen einer Beteiligung an humanitären UNO-Aktionen den Vorrang, aber immerhin 58 Prozent sprechen sich für die Beteiligung an UNO-Friedenstruppen aus. Strikt abgelehnt wird weiterhin die Beteiligung an Aktionen nach dem Muster des Golfkriegs.

Zu den Details der Sani-Entsendung erklärte Rühe, die deutschen Teilnehmer würden in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh ein zentrales Hospital mit 60 Betten zur Versorgung der 22.000 UNO-Angehörigen betreiben. Der größte Einsatz der UNO in ihrer Geschichte werde bis zum September 1993 dauern.

Rühe dankte den 140 Sanitätssoldaten, darunter auch Reservisten und drei Grundwehrdienstleistende sowie eine weibliche Zivilistin, für ihr freiwilliges Engagement. Das erste Kontingent, das im Mai für sechs Monate nach Kambodscha aufbricht, wurde Rühe zufolge seit dem 4. Mai an der Münchner Sanitäts- und Gesundheitsakademie der Bundeswehr in einem Lehrgang eingewiesen. Rühe sprach von besonderen Belastungen dieses Einsatzes in einem tropischen Land während der Regenzeit.

Der Verteidigungsminister bezifferte die Kosten dieses Einsatzes für die Bundesregierung auf rund zehn Millionen Mark in diesem Jahr. Es seien auch Augen- und HNO-Fachärzte sowie Dermatologen für den Einsatz vorgesehen. Ein Vorkommando mit Oberstabsarzt Peter Fraps werde in wenigen Tagen abfliegen. Fraps solle das gesamte Sanitätskontingent der UNO in Kambodscha, zu dem auch 375 Inder gehören, leiten.

17 Sanitätssoldaten der Bundeswehr hätten bereits in den vergangenen sechs Monaten in Kambodscha an der Vorbereitungsmission der UNO in Kambodscha teilgenommen, sagte der Verteidigungsminister. Rühe werde am 28. Mai das Sanitätskontingent besuchen, um sich vor Ort einen Eindruck über die Arbeitsbedingungen zu verschaffen C.S.

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