: Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill
Freie Fahrt für freie Bürger: Der geheiligten Formel kommt hinterm Kennzeichen D bekanntlich Verfassungsrang zu. Wie aber sieht die Verfassungswirklichkeit aus? Stau, Stop & Go, Straßenkrieg, Stillstand, kurzum: auspuffduster. Wo gibt es überhaupt noch Fahrvergnügen? Nur im Paternoster. Oder der Rennmensch wandert aus. Nach Südafrika zum Beispiel: Weites Land, freie Fahrt. Eine Reise von Johannesburg nach Durban, 600 Kilometer, ist das reinste Rebirthing on the road. Kein Raser soweit der Tank reicht, kein Nahkampf beim Überholen, kein Bremsen oder Vogelzeigen.
Woran liegt's? Erstens daran, daß die Fahrzeugdichte gemessen an der Größe des Landes ziemlich gering ist. Die Mehrheit kann sich nämlich keinen Privatwagen leisten; acht von zehn drivers sind weiß. Zwotens gurken viele Schrottmühlen über die Highways. Der Phänotyp des Kfz-Führers heißt Geert van Dyk und ist Farmer. Er fährt mit Traktorgeschwindigkeit einen uralten Bakkie, hinten drauf die strohblonde Burentochter, die Bulldogge und die durchgeladene Elefantenbüchse. Höchsttempo: 50 mi/h. Drittens gibt es ein speed limit von 120 km/h, das wundersamerweise eingehalten wird. Sieht man einmal von jenen Leutchen ab, die ihr Geschoß wie einen lackierten Kampfhund reiten. Und von den billigen Sammeltaxis, in denen Schwarze von hier nach dort reisen; das sind rasende Särge. Viertens ist es gar nicht so preiswert, alltäglich die Überlandverbindungen zu frequentieren: Es werden Gebühren erhoben. Fünftens und letztens: Die Menschen sind einfach gelassener, ihr Zeitgefühl ist afrikanisch. Da kommt es nicht auf die eine oder andere Stunde an.
Wenn tatsächlich einmal ein Verkehrsteilnehmer durchdreht, steht das auf den Titelseiten der Zeitungen. Neulich wurde zum Beispiel ein 19jähriger mit seinem BMW gestoppt. Er war mit 225 km/h in eine Radarfalle getigert, 80 Sachen hätte er fahren dürfen. Ein Zetermordio erhob sich von Kapstadt bis zum Krügerpark. Abends im Fernsehen legte die Vorsitzende des Nationalen Unfallgeschädigtenverbandes dem Sünder die Hand auf. Man bot ihm an, seine Rennen doch künftig auf dem Formel-1-Ring von Kyalami zu veranstalten. Er gelobte öffentlich Besserung – und ist vermutlich mit Karacho heimgebrettert. Junge Leute eben, Vollgas-Kids.
Bald zwei Jahre sind wir nun in Südafrika. Noch keine einzige Minute unserer kostbaren Lebenszeit mußten wir bislang auf die verzweifelte Suche nach Parkplätzen vergeuden.
Noch nie standen wir im Stau (obwohl das während der Rush- hour in Joburg durchaus passieren kann; schließlich handelt es sich um eine moderne Wirtschaftsmetropole). Aber in speed traps sind wir schon mehrfach gerumpelt. Meistens hat's pressiert, weil wir gerade auf einer brandaktuellen Recherche waren. 144 km/h auf der N 3 Richtung Heidelberg! Der Herr Gendarm schaute uns sehr finster an. Sorry, Sir, wir kommen aus Deutschland, sagten wir kleinlaut. Das ist Südafrika, knurrte der Wachtmeister, prüfte unsere Papiere und ließ uns mit einer ernsten Ermahnung ziehen. Nächstes Mal, meinte er, stecke ich euch ins Gefängnis. Denn merke: Die Maxime „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist nur im Mercedesland ein unveräußerliches Grundrecht.
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