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Bizarre love triangle

Elektronik im Songformat als Musik zur Zeit: Mit seinem butterweichen Gesang und einem Meer aus Synthezisern erinnert das aus Manchester stammende Quartett Ladytron an Sternstunden des 80er-Jahre-Pop wie „Tainted Love“

Zwei mussten reichen. Doch Daniel Hunt und Mira Aroyo, die eine Hälfte von Ladytron, sind eloquent genug, eine Pressekonferenz auch in halber Besetzung unterhalten zu können. Ganz locker sitzen sie in der Lounge ihrer Plattenfirma „Labels“, der erst vor kurzem gegründeten neuen Superadresse für gute Popmusik aller Art; erzählen gerne und viel, fallen sich regelmäßig ins Wort, ohne sich das übel zu nehmen, und ergänzen ohne Probleme die Aussagen des jeweils anderen.

Sie haben völlig Recht, wenn sie sich gleich zu Beginn des Gesprächs dagegen wehren, in die Retro-Ecke im Sinne von „Musik von gestern“ gestellt zu werden. Daniel: „Es gibt keinen Grund, warum wir mehr retro sein sollten . . .“, Mira: „. . . als etwa Coldplay.“ Daniel: „Coldplay ist ein gutes Beispiel. Die benutzen Fünfzigerjahre-Instrumente, machen nichts anderes als frühen Neunziger-Gitarrenpop zu recyceln und werden dafür nicht angeklagt.“ Das Missverständnis, mit dem eine Band wie Ladytron leben muss, beruht wahrscheinlich darin, dass ihr Synthiepop spätestens Ende der Achtziger als historische Erscheinung rezipiert wurde, während der gute Rocksong stets den Haltbarkeitsstempel „unbegrenzt“ aufgedruckt bekommt.

Ladytron kommen aus Liverpool, der Stadt, die in Sachen Popmusik schon seit Jahren kaum noch etwas Weltbewegendes zustande bringt. Es ging mit der Band eigentlich alles ziemlich schnell. Gleich ein paar „Singles Of The Week“ im NME, dann den veritablen Hit „Playgirl“, und schon wurde ihr Debütalbum „604“ allgemein für gut befunden. Und schon zählen sie neben Zoot Woman als die Glamour-Eighties-Band aus England schlechthin.

Natürlich sind Ladytron durchaus der Prototyp eines ewigen Achtziger-Revivals. Fashion-Victims sind sie alle vier – dafür liebt sie sogar die Face – viel Kajal auf blassen Teints steht ihnen gut; verwenden tun sie ausschließlich analoges Equipment, und ihr Sound – butterweicher Gesang auf einem Meer aus Synthesizern – drängt den Vergleich mit Human League oder Soft Cell förmlich auf. Nur bessere Frisuren als damals, und darauf legen alle Ladytroner Wert, haben sie. Geschmacksverirrungen wie das Gezottel eines Limahls zum Beispielkommen bei ihnen nicht vor. Dadurch gerät man erst gar nicht in Versuchung, Ladytron als Teil dieser unsäglichen „Generation Golf“-Nostalgie wahrzunehmen, bei der es darum geht, sich gegenseitig zu bestätigen, wie peinlich alles in den Achtzigern war.

So seltsam es auch erscheinen mag, mit ihrer hemmungslosen Hinwendung zu den Roots der elektronischen Popmusik befinden sich Ladytron an der Spitze eines aktuellen Trends. Der ganze Elektronikbereich hat inzwischen erkannt, dass er sich nicht ständig neu erfinden kann, und sucht deswegen seine Zukunft in der Vergangenheit. Elektronik im Songformat ist das Ding der Stunde, kein Wunder, dass sich ein zwanzig Jahre alter New-Wave-Hit wie „Kaltes klares Wasser“ sich plötzlich in der aufgemöbelten Version der Chicks On Speed vorne in den Charts wiederfindet.

Ladytron konnotieren retro neu. Sie greifen zwar auf etwas zurück, doch nicht auf etwas im Mülleimer der Geschichte Vergrabenes, sondern auf Klassisches mit Ewigkeitswert. Daniel: „Nimm beispielsweise ‚I feel love‘ von Donna Summer. Das ist der ultimative Song, einfach perfekt. So ein Song ist zeitlos.“

Letztlich geht es ja in der ganzen Popmusik immer wieder bloß darum, sich irgendwelchen vergangenen Idealen anzunähern. Disco soll einen Giorgio-Moroder-Touch haben, im HipHop wollen sie nach Old-School klingen, im Pop wie die Beach Boys und im Techno wie Kraftwerk. Da kann es nur wunderbar sein, an solche Sternstunden der Popmusik wie „Being Boiled“ oder „Tainted Love“ erinnern zu wollen. ANDREAS HARTMANN

Ladytron spielen am Samstagabend ab 21 Uhr im Tacheles, Oranienburgerstraße 54–56, Mitte. Support: Lali Puna

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