: Bitte erschrecken Sie – jetzt!
Bremen bleibt blank, mehr noch: hochverschuldet. Was kommt jetzt? Was macht die Zahl „500 Mill.“ mit uns? Und mit unseren Politikern? Oder ist die Summe so hoch, dass Weiterdenken unmöglich scheint? Die taz lässt eine Expertin antworten
Bremen taz ■ Bremen wird auf absehbare Zeit seine Schulden nicht los, das ist jetzt klarer denn je. Aber: was nun? Wie umgehen mit einem Minus von 500 Millionen Euro jährlich? Die Wiesbadener Diplom-Psychologin und Expertin für Finanz-Coaching Monika Müller (Foto), hat sich aus der Ferne für Bremen und seine Akteure ein paar Gedanken gemacht.
taz: Welche Größenordnungen von Zahlen können Menschen denken?Monika Müller: Vor allem diejenigen, die uns tagtäglich begegnen: ein Gehalt, ein Auto, das ich kaufe, vielleicht auch ein Haus. Das sind Werte, die wir im Gefühl haben. Alles, was in mehrere Millionen geht, das können sich vielleicht noch Millionäre oder Milliardäre vorstellen. Aber damit hört‘s dann auch auf.
Können Sie mir auf Anhieb sagen, wie viele Nullen 500 Millionen haben?Kann ich nicht. Das macht auch nichts. Man schreibt es ja „500 Mill.“ und nicht die ganzen Nullen. Aber die Frage ist doch: Hilft uns das weiter, wenn wir es könnten? Was macht es mit mir?
Was macht es denn mit mir, wenn ich‘s könnte?Erstmal nichts.
Aha.Die bloßen Zahlen sind für uns Menschen doch bedeutungslos. Bedeutung gewinnt eine Sache erst, wenn wir etwas dabei spüren. Wenn wir eine persönliche Betroffenheit fühlen.
Sie gehen tagtäglich mit Geld um und mit Menschen, die mit Geld umgehen. Haben Sie bei „500 Mill.“ eine Vorstellung?Das ist aus meiner Sicht nicht die Frage, die sich stellt. Die muss doch lauten, welche Bedeutung hat diese Vorstellung? Eine Angestellte kann sich zum Beispiel überlegen, wie viel Millionen sie für ihre Rente zahlen muss. Oder jemand, der eine Firma aufbaut – für den fängt eine solche Größenordnung an lebendig zu werden. Eine andere Möglichkeit wäre, die Schulden Bremens auf die Einwohner zu verteilen ...
... was hier rund 16.000 Euro pro Nase macht ...... dann ist das für viele schon wieder fassbar. Diejenigen, die sich Häuser gebaut haben, sind in der Regel sehr viel höher verschuldet. Und können damit umgehen. Da wird klar, worum es geht: Wir müssen einen Weg finden, diese Summe ins reale Leben einzubauen. Denn mit der abstrakten Zahl wird oft kein Gefühl verbunden – ich weiß gar nicht, ob das jeweilige Senatsmitglied etwas spürt, wenn es über den Betrag spricht.
Wenn man zu einer solchen Schuldensumme ein Gefühl entwickeln kann, dann doch bestenfalls Resignation.Sie können statt der 500 Millionen auch gleich fünf Milliarden schreiben – der Betrag ist so hoch, dass der normale Bürger und auch der Politiker sich davon keine Vorstellung machen können. Aber wenn dann klar wird, dass das Land da nicht rauskommt in überschaubarer Zeit, stellt sich die Frage, wie der einzelne Politiker damit umgeht. Resignation ist im besten Fall ja noch ein Gefühl – das wäre ja gut.
Warum?Weil man sich dann fragen kann: Wie komme ich da raus? Aber das Schwierige ist, dass es bei dem einen oder der anderen zu einer Art Nicht-Gefühl führt. Dass man es gar nicht mehr spürt und wegdrängt.
Das läge doch nahe.Dass jetzt vom Bund ein Punkt gesetzt wurde, ist aus meiner Sicht ganz wichtig. Solange wir uns in Wünschen bewegen, ist die Hoffnung da, dass dieses Problem irgendeiner für uns löst. Solange bleibt es ein Schwebezustand. Aber jetzt kann erstmal ein Erschrecken einsetzen. Das wäre gut. Aber: Nehmen diejenigen, die direkt beteiligt sind, das noch emotional wahr? Wenn sie das tun, haben sie eine gute Chance. Denn Gefühle sind immer ein Motor. Also muss aus meiner Sicht jetzt eine Akzeptanz einsetzen: That‘s it. Niemand mehr wird uns aus diesen Schulden heraushelfen. Dann müssen wir uns zurückziehen, uns anschauen und innehalten.
Und dann?
Nichts „und dann“! Erstmal nicht. Im Moment ist es aus meiner Sicht wichtig, stehen zu bleiben. Das begegnet mir auch oft bei Kunden, die in ihrem Finanzmanagement einen Fehler gemacht haben. Oft sind diese Menschen entweder sehr stark in der Vergangenheit oder in der Zukunft verhaftet, aber nicht da, wo sie wirklich was bewegen können. Jetzt sollte also erstmal eine Situation entstehen, in der keine Bewegung stattfindet und dann ein Stück Akzeptanz aufgebaut werden kann. Aus dieser Akzeptanz heraus neue Ziele zu setzen – dazu würde ich raten.
Fragen: Susanne Gieffers