Bischofskonferenz: Blanke Nerven der Oberhirten
In Freiburg tagt die Bischofskonferenz. Wie diskutieren die Bischöfe die Missbrauchsfälle, was werden sie entscheiden? Die Situation ist sichtlich angespannt.
FREIBURG taz | Auf 1.520 Euro kommt der Bischofsstab, silbern glänzend mit goldenem Ring unterhalb der Krümmung. Besonders stolz ist der Verkäufer auf das Messgewand im Schaufenster, beige und handgewirkt, mit einer mächtigen goldenen Borde in der Mitte, die vom Hals bis zu den Füßen reicht. Dafür muss ein katholischer Priester 1.300 Euro berappen, kriegt aber noch eine passende Stola und ein Kelchtuch dazu. Am Dienstag, so erzählt der Paramente-Verkäufer mit badischen Singsang, habe er Besuch von einigen hohen Herren aus dem Hotel gegenüber gehabt. Einer hätte ihm erklärt, dass er ein Kreuz in Brusthöhe auf dem Messgewand nicht so gern habe, weil dann sein Bischofskreuz nicht mehr so gut zur Geltung komme - weshalb er nun dieses Messgewand, ohne Kreuz, ins Schaufenster gehängt habe. Vielleicht kommt es ja heute zu einem Geschäft.
Seit Montag tagen die 67 katholischen Bischöfe Deutschlands in Freiburg, und zwar im Stadthotel Freiburg, just gegenüber des Ladens für liturgische Gegenstände an der Karlstraße. Es ist ihre traditionelle Frühjahrs-Vollversammlung, Routine eigentlich und keiner weiteren Erwähnung wert, ginge der deutsche Katholizismus mit seinen 25 Millionen Mitgliedern nicht gerade durch seine vielleicht größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Seitdem vor etwa einem Monat das Berliner Canisius-Kolleg, ein Elitegymnasium der Jesuiten, seine Geschichte von Kindesmissbrauch und Vertuschung öffentlich gemacht hat, jagt eine Enthüllung die nächste über pädophile Vergehen katholischer Priester und anderer Kirchenmitarbeiter, und zwar durch die ganze Republik. Fast alle Verbrechen liegen schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück - aber die meisten blieben ungesühnt.
Da es in der heutigen Mediengesellschaft auch stark um das Image der Kirche geht, fühlen sich viele Bischöfe mit ihrer Not, ihrem Versagen und ihrer Schwäche allzu sehr beobachtet, ausgestellt im Schaufenster der Öffentlichkeit, die an schönen Messgewändern nicht mehr interessiert ist, sondern fragt: Was habt ihr in Gottes Namen mit unseren Kindern gemacht? Und warum habt ihr so viel so lange vertuscht?
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, hatte zu den Enthüllungen fast einen Monat lang geschwiegen, er wollte die Vollversammlung der Bischöfe abwarten. Bis er am Montag im Priesterseminar seiner Diözese, dem Collegium Borromaeum, vor die Presse trat und das Erwartbare verkündete: Die Kirche entschuldigt sich, alle sind erschüttert, alles werde aufgeklärt - der Missbrauch aber sei kein strukturelles, systemisches Problem der Kirche. Mehr noch, diese Verbrechen hätten "nichts mit dem Zölibat und nichts mit der Sexuallehre der Kirche zu tun".
Letzteres hatte der Osnabrücker Oberhirte Franz Josef Bode, der sogenannte Jugendbischof der Bischofskonferenz, zuvor öffentlich angezweifelt, zumindest leise. Ganz anders der notorische Rechtsaußen des deutschen Katholizismus, Walter Mixa. Der Augsburger Bischof hatte zum "verbreiteten gesellschaftlichen Übel" des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verkündet: "Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig." Außerdem habe es seit 1995 bundesweit rund 210.000 polizeilich registrierte Fälle von Kindesmissbrauch gegeben. Dagegen stünden etwa 100 deswegen in Verdacht geratene katholische Priester oder Kirchenangestellte der deutschen Bistümer im gleichen Zeitraum. Da bewege sich die Kirche doch, so Mixa, "in einem verschwindend geringen Promillebereich".
Das Wort "Promille" fiel in diesen Tagen nicht mehr - es sei denn im Zusammenhang mit der alkoholisierten Autofahrt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann. Die Frage, die die Bischöfe in Freiburg intensiv beschäftigte, lautete dennoch: Was müssen wir tun, um unseren eigenen Skandal aufzuarbeiten? Reichen die Leitlinien aus, die sich die Bischofskonferenz schon 2002 gegeben hat, um den Kindesmissbrauch durch Geistliche zu verhindern und zu ahnden? Tatsächlich ist es, soweit bekannt, seither nur zu wenigen Fällen pädophiler Übergriffe gekommen - fairerweise sei auch erwähnt, dass die jetzige Bischofsgeneration meist noch nicht im Amt war, als in den 1950er- bis 1980er-Jahren das Gros der Verbrechen begangen und kirchenintern verdrängt wurde.
Trotzdem: Jeder Missbrauch ist einer zu viel, war gerade von den Bischöfen in Freiburg öfters zu hören. Und deshalb liegen die Nerven der Oberhirten blank. Geschrien wurde in den Sitzungen wohl nicht, wie aus der Klausur der Bischöfe kolportiert wurde. Aber sehr ernsthaft, ja emotional und betroffen diskutiert.
Wie groß die Anspannung sein muss, war zu erahnen, als Erzbischof Zollitsch am Dienstag im Priesterseminar erneut in einem überhitzten Saal mit herrlichem Blick auf das Münster vor die Presse trat und leicht hysterisch über die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schimpfte. Die hatte zuvor im Fernsehen die Kirche scharf angegriffen und dabei falsche oder zumindest leicht missverständliche Zahlen zu den Missbrauchsfällen in den Bistümern genannt. Die Ministerin müsse sich binnen 24 Stunden öffentlich korrigieren, forderte Zollitsch und kündigte an, in dieser Sache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonieren zu wollen. Übrigens ging es bei dieser Pressekonferenz eigentlich um die Position der katholischen Kirche zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr - aber das interessierte hier niemanden mehr so richtig, weder Bischöfe noch Presse.
Um die kümmerte sich die Bischofskonferenz dann am Dienstagabend in einer Charmeoffensive der besonderen Art: Auf Einladung der Stabsstelle Kommunikation der Erzdiözese Freiburg wurden dutzende Journalisten in die Katholische Akademie des Bistums eingeladen, zum "Abendessen und Hintergrundgespräch (Thema: Missbrauch und Prävention)". Es sprachen unter anderem der noch recht junge Trierer Bischof Stephan Ackermann, Jahrgang 1963, der Essener Professor für forensische Psychiatrie, Norbert Leygraf, und der Kölner Theologe und Psychiater Manfred Lütz, der auch Mitglied im Päpstlichen Rat für die Laien ist. Der Kern ihrer Aussagen: Missbrauch durch Priester finde nicht überproportional häufiger im Vergleich zur Gesamtbevölkerung statt, und die kirchlichen Leitlinien gegen diese Verbrechen müssten kaum verbessert werden, wenn überhaupt.
Und darauf wird es wohl auch hinauslaufen, wenn Zollitsch heute Nachmittag erneut vor die Presse tritt. Das alte Kartell des Schweigens in der Kirche scheint zusammengebrochen, nun übt sie sich einigermaßen in Transparenz und leichter Reform. Wahrscheinlich werden die Bischöfe eine Arbeitsgruppe einsetzen, um ihre Leitlinien gegen Kindesmissbrauch noch mal zu verschärfen - und insgeheim darauf hoffen, dass dieser Skandal so langsam und stetig wieder aus der Öffentlichkeit verschwindet wie die Affäre um die antisemitischen Pius-Brüder und den Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson vor einem Jahr.
Den Paramente-Laden gegenüber dem Tagungsort der Bischöfe betritt am Dienstag während einer ihrer Sitzungen ein katholischer Priester der Freiburger Diözese mit einem purpurroten Ministrantenumhang. Seine 120 Messdienerinnen und Messdiener, sagt er dem Verkäufer, bräuchten einfach neue Umhänge, die alten seien langsam abgewetzt. Eine Katastrophe, meint der Geistliche, sei der ganze Missbrauchsskandal. Kürzlich habe er drei Stunden lang den Erstkommunion-Kindern in der Kirche die Beichte abgenommen - ein komisches Gefühl, denn er wisse gar nicht mehr, was in den Familien nun von solch einer Situation gedacht werde. Schon jetzt gebe es Richtlinien, bei Ausflügen als Erwachsene immer nur zu zweit in die Zimmer der Kinder zu gehen und nie, nie in deren Duschräume.
Wenn der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche noch lange weitergeht, wird sie bald kein Geld mehr für teure Messgewänder haben. Sie wird es für Entschädigungen brauchen.
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