■ Bischofferode, 15. Tag des Hungerstreiks: Die vier Linien der Schwäche
Der sich ausweitenden Solidarität mit den hungerstreikenden 40 Bischofferoder Kali-Kumpeln (denen sich noch einmal so viele anschließen wollen) und ihrem Kampf um den Erhalt des Schachts „Thomas Müntzer“ streben vier Fügungen gegen:
1. die korrupten Gewerkschafts-Funktionäre der IG Bergbau und Energie und der IG Chemie, die eher gegen als für die Bergarbeiter im Eichsfeldischen aktiv werden. Viele ostdeutsche Betriebsräte versuchen sie jetzt „umzustimmen“ – brieflich.
2. Trotz parteiübergreifender Hilfe für die Bischofferoder in der Region gibt es dort eine Branchenspaltung: Die Kaliwerke in Zielitz und Unterbreitzbach haben von Treuhand/BASF eine „Bestandsgarantie“ versprochen bekommen und beteiligen sich nicht an den Kämpfen zur Erhaltung der noch 700 Arbeitsplätze dort. Angeblich sollen sie die Schließung des „Müntzer“-Schachts sogar begrüßt haben. Dem Aktionstag am vergangenen Samstag blieben sie fern, und bisher gingen sie auch nicht auf das „Runde Tisch“-Angebot der Initiative ostdeutscher Betriebsräte ein.
3. Eine weitere Spaltung wäre die innerbetriebliche zwischen den leitenden Kadern (von denen einigen eine Anstellung im Westen versprochen werden wird) und der übrigen Belegschaft, für die es – bestenfalls – einen temporären Spatendienst in einer Beschäftigungsgesellschaft geben wird. Der Betriebschef, Teusch, wurde bereits rausgeschmissen, von einigen anderen behaupten die Bergleute ebenfalls, sie seien „gekauft“.
4. Zumindest im Westen hat die Linke es sich angewöhnt, ihre grundsätzliche Solidarität mit Emanzipationskämpfen erst einmal quasi ökologisch zu filtern. Im Falle der Eichsfelder Kali-Produktion werden dabei Landwirtschaftsböden, Flüsse und einstürzende Baudenkmäler angeführt. Zusätzlich merkwürdigerweise aber auch noch die „mangelnde Produktivität“ (im Osten). Das Werk hat die höchste Auslastung in Ostdeutschland, aus seinem Produkt K60/K61 wird Kaliumsulfatdünger hergestellt. Die neuen Eigner, BASF/Kali&Salz, stellen dasselbe Produkt anders her als die Kunden der Bischofferoder. Bei Schließung des Schachts müßten diese umständlich auf Kali aus der Ukraine ausweichen. Ein Wettbewerbsvorteil für BASF, den ihnen die Treuhand mit Geldern für ostdeutsche Arbeitsplätze finanziert.
Leider geht es bei den vier Punkten eher um Interessen und Leidenschaften als um den Austausch von Argumenten. Und nicht zuletzt hängt natürlich die gesamte sich ausweitende Protestbewegung davon ab, wie lange die hungerstreikenden Bergarbeiter durchhalten können. Das Ganze soll übrigens mit einem Fest in Bischofferode enden. Helmut Höge
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