„Bis 28 Grad verkauft sich Eis am besten“

Über 30 Grad wird es heute. Zu heiß fürs Eis, meint Norbert Hennig. Der Eiskönig von Berlin streicht die Becher in vielen Geschmacksrichtungen randvoll. Mit Gefrorenem oder auch mit Anekdoten aus seinem Leben. Ein Gespräch über zerflossene Liebschaften, schmelzende Preise und treue Kunden

Interview JÖRN KABISCH
und PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Hennig, eigentlich ist Speiseeis doch die Domäne der Italiener.

Norbert Hennig: Wir sind Hennig und machen seit 1930 Eis in Berlin. Unser Eis ist sehr fettarm, es hat ungefähr drei Prozent Fett.

Und das ist der Unterschied?

Beim Italiener hat das Eis meist um die sechs Prozent Fett. Die benutzen Sahne, wir Dickmilch.

Ein altes Familienrezept?

Ja. Mein Vater stammt aus einer Familie aus Ostpreußen mit sieben oder acht Kindern. Ein Bruder hatte eine Konditorlehre gemacht. Er und mein Vater, der eigentlich Getreidekaufmann war, haben 1930 in Berlin die Speiseeisproduktion entwickelt. Ich habe schon mit drei an der Eismaschine gestanden.

Welche Eissorte ist denn gerade modern?

Vor allem Joghurt-Sorten, aber auch Ki-Ba, also Kirsch-Banane … Da fällt mir ein: Die B. Z. hat mich mal angerufen und gefragt, was die bestgehendsten Sorten sind. Ich: „Vanille, Erdbeer, Schoko.“ „Und was geht am schlechtesten?“ Ich: „Knoblauch-Peperoni.“ „Was, Sie haben Knoblauch und Peperoni?“ Ich: „Nee.“ „Haben Sie aber eben gesagt. Ich: „Knoblauch-Peperoni, eine gemischte Sorte.“ B. Z.: „Und das verkaufen Sie?“ Ich: „Nein, nicht mehr. Die Kunden mögen das nicht.“ Es war natürlich alles Quatsch. Aber am nächsten Tag stand in der Zeitung: „Knoblauch-Peperoni: vom Verbraucher nicht akzeptiert.“

Welches Eis essen Sie denn selbst am liebsten?

Da muss ich nachdenken. Ich glaube, gerade Müsli. Ja. Schoko ist für den Alltag und am Sonntag immer Müsli.

Müsli klingt wie Knoblauch-Peperoni.

Sie können mir glauben oder nicht.

Sie haben lange gezögert, in die Fußstapfen Ihres Vaters zu treten. Wann ist der Entschluss gefallen?

Ein Jahr vor Ende der Bundeswehrzeit. Ich wollte mal Pilot werden, mal Arzt und mal Lehrer für Latein, Deutsch und Sport in England. Mein Vater und ich hatten ein sehr raues Verhältnis. Alle dachten, wenn ich bei meinem Vater anfange, geht das keine zwei Tage gut. Aber es ging. 1982 habe ich mich mit dem Laden in der Bundesallee selbstständig gemacht. Kaum, dass ich einen eigenen Laden hatte, habe ich das Rezept geändert: 25 Prozent mehr Nuss und mehr Kakao, so dass es mir schmeckt. Das ist bis heute mein Prinzip.

Sie waren von 1976 bis 1980 freiwillig bei der Bundeswehr. Sind Sie ein Militarist?

Nein. Ich lehne das ab. 1982 habe ich noch gesagt, ich würde mein Vaterland verteidigen, aber heute würde ich rennen. Nach Neuseeland, Australien oder sonst wohin. Für diesen Staat würde ich meinen Kopf nicht mehr hinhalten. Wo Sie hingucken, ist Korruption.

Was meinen Sie genau?

Hohe Tiere, große Firmen und diese ganzen schrägen Sachen.

Als Berliner hätten Sie wegen des Alliiertenstatus überhaupt nicht zum Bund müssen.

Ich wollte Ordnung in mein Leben bekommen: viele Schulen, zu viele Jobs.

Was haben Sie bei der Bundeswehr genau gemacht?

Ich war bei der psychologischen Verteidigung, die so genannte Propagandaeinheit. Einmal habe ich meinem Chef ein Pamphlet von einer linksradikalen Organisation aus Berlin zur Auswertung mitgebracht. Ich war mal sehr linientreu.

Und heute?

Ich fühle mich als Bürger dieser Welt.

Sind Sie ein politischer Mensch?

Ich halte nichts von Parteien. Toll ist, dass in der Gemeinde Großbeeren, wo ich wohne, ein Parteiloser Bürgermeister ist. Ich finde mich aber schon politisch. Polis heißt die Stadt. Ich bin ein Bürger, der sich engagiert.

Ihre Schwester Maria hat einmal ein autonomes Mädchenhaus gesponsert.

Ich unterstütze einen Radrennverein und eine behinderte Dame. (Holt einen Prospekt und zeigt auf eine Frau ohne Arme, die neben einem Pferd abgebildet ist.) Die Frau hat ein auf ihre Bedürfnisse abgerichtetes Pferd, das sich auf den Boden legt, wenn sie ihm mit ihren Füßen die Trense anlegen und aufsteigen will. Das Pferd soll ihr weggenommen werden. Sie möchte es kaufen und hat schon ein bisschen Geld zusammen. Ich habe ihr 500 Euro überwiesen.

Hier steht eine Staffelei. Malen Sie auch?

Ab und zu, zwischendurch. Vor 10, 15 Jahren habe ich es intensiver gemacht, um mich runterzubringen. Da hab ich mich hier in meinem Büro eingeschlossen.

Sie haben ein Logo auf Ihren Eisbechern: das Eismännchen Henny. Was verkörpert es?

Das, was ich selber bin. Ich halte mich altersmäßig für ein bisschen zurückgeblieben. Ein 51-Jähriger mit der Mentalität eines 16- bis 24-Jährigen. Ich bin ein gutmütiger Kerl, der aber leicht ausrasten kann. Mit zunehmendem Alter wird die Schwelle des Ausrastens aber immer höher.

Anfang der 90er-Jahre gab es mal einen Vorfall, der Sie sogar vor Gericht gebracht hat.

Die B. Z. hat daraus eine Titelgeschichte gemacht. „Berlins Eiskönig: Nackt Geliebte überfallen.“ Auf Seite 10 ging’s weiter: „Wenn der Eismann hitzig zulangt.“

Was haben Sie getan?

Das war im Juli 1992. Meine Lebensgefährtin und ich hatten eine deftige Auseinandersetzung. Sie hat die Polizei gerufen und mich wegen sexueller Nötigung angezeigt. Ich habe mir noch gedacht, ist ja witzig alles. Ich war verliebt bis über beide Ohren. Sie hat mich aus der Wohnung rauskatapultiert, die ich für 120.000 Mark auf ihren Namen gekauft hatte. Sie hat hinterher ganz dreist behauptet, ich hätte sie ihr geschenkt.

Sind Sie verurteilt worden?

Nein, das Verfahren wurde eingestellt. Ich musste 10- oder 12.000 Mark Geldbuße bezahlen.

Das müssen Sie doch noch wissen.

Nein. Ich will hier nichts Verkehrtes sagen. Vor einer Woche stand die Frau plötzlich vor meinem Laden am Ku’damm. Ich sehe sie und denke, was ist denn das für ein netter Mensch. Sie guckt mich auch so nett an. Da bin ich hin: „Guten Tag, wir kennen uns doch?“ Sie: „Ja.“ Ich: „Du bist meine Cousine.“ Sie: „Nein, ich bin Kerstin.“ Da flog mir die Kinnlade runter. Ich musste tief durchatmen. Sie, im Flötton: „Na, wie geht’s?“ Ich: „Das kann ich dir nicht sagen, da ist noch einiges offen zwischen uns.“ Und dann hab ich mich umgedreht und sie stehen gelassen.

Sie haben ihre Exfreundin nicht mal wieder erkannt?

Glauben Sie, dass Ihnen das Unterbewusstsein manchmal Streiche spielt? Ich hatte die Frau einfach ausgeblendet.

Haben Sie ein konkretes Selbstbild als Chef?

Früher, als ich nur den Laden in der Bundesallee hatte, kannte ich jeden Angestellten mit Namen und deren Familiengeschichten. Durch die vier Filialen habe ich nicht mehr so einen Draht zu allen Mitarbeitern. 4 ist für mich eine falsche Größe. Ich müsste 20 bis 30 Läden haben, dann könnte ich wieder leichter organisieren.

Was hindert Sie?

Ich mich selbst. Gucken Sie sich doch in meinem Büro um. Hier kann man sich doch gar nicht konzentrieren. (Geht zum Bücherschrank, zieht nach dem Zufallsprinzip ein paar Bücher heraus und liest Autoren oder Titel vor:) Luciano de Crescenzo; Deutsch für Profis; Die erfolgreiche Art, auch Männer zu überzeugen; Frauen überwinden ihre Redeangst; Kunden kaufen nur vom Sieger; Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte; Der längere Atem. (Er wendet das Buch in seinen Händen.) Übrigens ein ganz tolles Buch.

Sie haben in der Karl-Marx-Allee einen Laden eröffnet. Gibt es im Osten andere Geschmäcker als im Westen?

Kann ich nicht sagen. Am Anfang sind wir im Osten übrigens boykottiert worden, nach dem Motto: Man kauft nicht bei einem Wessi. Ich bin ja mit der roten Brigitte befreundet, das ist eine hundertachtzigprozentige Kommunistin, die hatte früher eine ziemlich hohe Position beim Ministerium inne. Sie wohnt in der Karl-Marx Allee direkt neben meinem Laden und behauptet bis heute, dass es im Osten keine Orangen gab, weil die Orangenschiffe von den Amerikanern versenkt worden sind. Sie lachen. Seit Frankreich das Greenpeace-Schiff bei Neuseeland versenkt hat, würde ich meine Hand nicht mehr ins Feuer legen, dass es nicht so war.

Wenn nicht zwischen Ost und West, gibt es in den Generationen verschiedene Vorlieben?

Es gibt da einige ältere Damen, die essen gerne Mokka-Zitrone.

Ihr Eisverkäufer hat uns erzählt, er kann den Typ „Rum-Traube“ erkennen, wenn er zur Tür hineinkommt.

Unter uns: Manche Kunden nennen das Rumschraube. Die Rum-Traube-Esser sind meistens sehr dynamisch.

Was ist das beste Eiswetter?

24 bis 28 Grad.

Warum nicht heißer?

Da sind die Leute zu träge und bleiben eher zu Hause – so wie die Leute in Spanien. Die legen sich von zwölf bis sechzehn oder achtzehn Uhr ins Bett und gehen erst abends wieder raus.

War es bisher ein guter Eissommer?

Doch, aber noch nicht befriedigend. Am besten für den Eisverkauf ist übrigens, wenn es morgens regnet und die Sonne erst mittags herauskommt.

Frühmorgens isst man ja auch noch kein Eis.

Das hat damit nichts zu tun. Dann fahren die Leute nicht ins Grüne.

Haben Sie die Teuro-Debatte auch zu spüren bekommen?

Ja, wir haben unsere Preise mit der Einführung des Euro erhöht. Das war seit Jahren überfällig. Aber ich habe sie verkehrt erhöht. Ich wollte runde Summen haben. In meinem Kopf war aber immer noch die D-Mark.

Nun zahlt man für einen kleinen Becher 1,25 Euro.

Das Schlüsselerlebnis war, als ich im Vorbeigehen mitbekommen habe, wie eine Frau für vier kleine Becher sechs Euro bezahlen sollte. Für sechs Euro müssten die Becher doppelt so groß sein, schoss mir durch den Kopf. Zeitgleich hat ein Gast angerufen, der 30 Jahre Kunde bei mir war und sich verabschieden wollte, weil ihm das Eis zu teuer geworden sei. Da bin ich mit den Preisen wieder runtergegangen: von einer durchschnittlichen Erhöhung um 23 Prozent auf circa 12 Prozent. Ich möchte, dass sich die ganze Familie das Eis leisten kann.

Erzähle Sie uns noch: Was macht der Eismann im Winter?

Er fährt nach England. Aber wir machen nicht zu. Hier gibt es zum Beispiel die Familie Koch, die kommt als Kleingruppe mit vier Personen oder als größere Gruppe mit acht bis zwölf Personen. Aber immer mit zwei Hunden. Mindestens einmal täglich sind sie da, auch im Winter. Was soll man da machen – außer offen lassen?