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Birte Müller Schwer mehrfach normalAlles erledigt, sie können entspannen

Wenn ich per Onlinebanking Geld überweisen will, muss ich die Transaktion mit einer separaten App bestätigen. Danach bekomme ich vermeldet: „Alles erledigt, sie können nun entspannen.“ Das regt mich jedes Mal auf. Woher will denn die scheiß App wissen, ob ich alles erledigt habe? Habe ich nämlich nicht. Außerdem war ich entspannt – wenigstens bis zu dem Moment, in dem ich die beknackte Push-Nachricht gelesen habe. Ich kann mich nämlich sehr gut entspannen, auch wenn ich nicht alles erledigt habe.

Mein Mann tickt da ganz anders. Ihn nervt es zwar genauso, dass ihm sein Telefon unterstellt, unentspannt gewesen zu sein, aber grundsätzlich muss er für seine Seelenruhe jede Aufgabe zu Ende bringen. Einerseits bewundernswert, andererseits problematisch bei langfristigen Projekten wie zum Beispiel Kindern. Wann immer er für sie zuständig war, hatte er wohl erst in dem Moment, in dem beide schlafend im Bett lagen und er die ganze Wohnung geputzt hatte, das Gefühl, sich entspannen zu können. Ein sehr kleines Zeitfenster.

Da ich grundsätzlich viele Dinge gleichzeitig mache, plane und verdränge (ganz ohne den Anspruch, etwas abzuschließen) und selten Zeit mit Aufräumen verschwende, kann ich Zeit mit unseren Kindern bis heute mehr genießen als mein Mann.

Nun ist unser Sohn Willi 18 Jahre alt geworden. Zu dem Anlass hätte uns beiden die Nachricht „Alles erledigt, Sie können jetzt entspannen!“ ganz gut gefallen. Stattdessen mussten wir reihenweise Papiere ausfüllen sowie Arzt und Gerichtstermine absolvieren, um weiterhin offiziell für unser Kind zuständig zu sein. Theoretisch ist Willi erwachsen, praktisch kennt er aber weder den Wert von Geld noch den Sinn des Zähneputzens.

Den Unterschied hat bei ihm nicht die Volljährigkeit, sondern sein Auszug gemacht. Als Willi 15 war, erkrankte seine Schwester an Post-Covid und er musste ausziehen. Ich erwähne Olivias Krankheit, weil ich deswegen ein schlechten Gewissen habe. Ich weiß zwar, dass ich mich nicht schämen muss, weil unser behindertes Kind nicht mehr bei uns wohnt, trotzdem habe ich es lange getan. Wenn ich gefragt wurde, ob Willi in eine Wohngruppe gezogen sei, habe ich oft gelächelt und genickt. Dabei lebt er in einer Einrichtung, die schlichtweg ein Kinderheim ist. Die Worte „Mein Kind lebt im Heim“ lösen bei mir zwangsweise so schlimme Schuldgefühle aus, dass ich es nie ausspreche. Dabei ist Willis neues Heim ein schöner Ort, mit liebevollen Menschen, wo er am Nachmittag endlich mit anderen Jugendlichen herumhängen und altersentsprechende Dinge tun kann – nämlich nichts.

Foto: privat

Birte Müller

ist Illustratorin, Autorin und Mutter von Willi (17) mit Downsyndrom und Olivia (15) mit Normal-syndrom. 2021 hat sie zusammen mit Yannick de la Pêche das Kinderbuch „Wie krank ist das denn?“ veröffentlicht.

Jedes zweite Wochenende kommt er zu uns nach Hause. Er ist gerne zu Hause (noch lieber allerdings bei Oma oder Opa) und fährt ebenfalls gerne wieder zurück.

Auch ich freue mich, wenn Willi nach Hause kommt und dann noch mal, wenn er Sonntagabend wieder weg ist. Während mein Mann ihn zurückfährt, betreibe ich Schadensbegrenzung, polke ein paar Hundert Murmeln unter den Sofas hervor und bin beeindruckt davon, was wir durchgängig die Jahre vorher geleistet haben.

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