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„Birmingham Six“ nur „Birmingham Five“

Fernsehsender nennt vier Namen von fünf irischen Attentätern, die 1974 den tödlichen Sprengstoffanschlag tatsächlich begingen / Polizei kannte Identität seit 15 Jahren / Neue Hoffnung für die zu Unrecht Verurteilten  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der unabhängige britische Fernsehsender „Granada“ hat am Mittwoch abend im Rahmen eines Fernsehspiels die Namen von vier IRA-Mitgliedern bekanntgegeben, die 1974 angeblich zwei Kneipen in Birmingham in die Luft gesprengt haben. Den Namen eines fünften Mannes, der an der Tat beteiligt gewesen sein soll, hielt Granada „aus Sicherheitsgründen“ zurück. Bei dem Anschlag starben 21 Menschen, 162 wurden verletzt. Schon kurz nach den Explosionen wurden sechs irische Emigranten verhaftet und 1975 nach einer beispiellosen Hetzkampagne der Medien zu 21mal lebenslänglicher Haft verurteilt. Obwohl seitdem erdrückende Beweise für ihre Unschuld aufgetaucht sind, sitzen die „Birmingam Six“ noch immer im Gefängnis.

Die Betonung des Granada-Fernsehfilms „Who Bombed Birmingham?“ lag jedoch weniger auf der Unschuld der sechs Iren als vielmehr auf dem „Enthüllungsjournalismus“ des Labour-Abgeordneten Chris Mullin. Mullin hatte bereits 1985 die beiden Eckpfeiler der Anklage - die Geständnisse der Angeklagten und den forensischen Test - schwer erschüttert. Er hatte nachgewiesen, daß der forensische Test nicht nur auf Sprengstoff, sondern auch auf harmlose Haushaltsgegenstände positiv reagiert. Außerdem hatte er ehemalige Polizeibeamte aufgetrieben, die bestätigten, daß die sechs während der Verhöre schwer mißhandelt worden waren. Die Aussagen der Beamten wurden vom Berufungsgericht jedoch als unglaubwürdig zurückgewiesen.

1985 gelang es Mullin, mit den beiden angeblichen Bombenlegern und dem Mann, der die telefonische Bombenwarnung durchgegeben hatte, zu sprechen. Dabei erfuhr er Details, die nur den Tatbeteiligten bekannt sein konnten. Mullin weigerte sich jedoch, die Namen der Männer zu veröffentlichen. Granada hat die Namen erst im vergangenen Jahr aus einem polizeiinternen Dokument erfahren, das dem Fernsehsender anonym zugespielt wurde. Aus diesem Dokument geht hervor, daß die britischen Behörden bereits seit 1975 die wirklichen Täter kennen. Das Dokument, das die Unschuld der Birmingham Six beweist, wurde jedoch unterdrückt. Diesen Punkt behandelt Mullin ausführlich in der erweiterten Neuauflage seines Buches, das am Mittwoch veröffentlicht wurde. Nachdem in der vergangenen Woche die Existenz des Dokuments bekannt wurde, hat der britische Innenminister David Waddington eine neue Untersuchung angeordnet.

Der morgige Samstag wurde von Solidaritätsgruppen zum „Birmingham-Six-Tag“ mit weltweiten Protestaktionen vor britischen Einrichtungen erklärt.

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