Birmesischer Kabarettist in Berlin: Witze als Waffe

Weil er regimekritische Witze wagte, steckte ihn die Militärjunta für elf Jahre ins Gefängnis. Jetzt macht der Kabarettist Zarganar mit Michael Mittermeier Scherze über das Regime.

Treten erstmals zusammen auf: Der birmesische Kabarettist Maung Thura und der deutsche Kabarettist Michael Mittermeier. Bild: Sven Hansen

Der kleine Kabarettist aus Birma erzählt auf der Bühne des Berliner Varietétheaters Chamäleon von der letzten Polizeirazzia bei ihm zu Haus. „Der Polizist hatte Anweisung, meinen Computer zu beschlagnahmen. Deshalb nahm er meinen Bildschirm“, sagt Maung Thura, der unter seinem Künstlernamen Zarganar („Pinzette“) bekannt ist. Das Publikum lacht über die Dummheit der Polizei. „Für den Bildschirm bekam ich dann 15 Jahre Haft“, sagt der glatzköpfige Zarganar und lacht über Birmas Justiz. Dem Publikum bleibt das Lachen im Hals stecken.

Darauf berichtet der in einem traditionellen birmesischen Wickelrock (Longyi) und mit landestypischen offenen Latschen auftretende Künstler, wie ihn ein Richter im Prozess nach seiner E-Mail-Adresse fragt. Als Zarganar ihm freundlich „zargarnar@ gmail.com“ antwortet, wird der Richter wütend: „Ich habe nach deiner E-Mail-Adresse gefragt, nicht nach deiner Gmail-Adresse“. Das macht zwei weitere Jahre Gefängnis für Zarganar.

Mit solchen Anekdoten fährt der verschmitzte 51-Jährige fort, bis er auf die Gesamtsumme von 59 Jahren Haft kommt. Dazu war er im November 2008 verurteilt worden. Manche Episoden klingen so absurd, dass nicht klar wird, ob sie real oder satirisch sind. Doch die Verurteilung zu 59 Jahren ist real. Der Unbeugsame sollte dafür büßen, dass er 2008 an der damaligen Militärjunta vorbei private Hilfe für die Opfer des Zyklons „Nargis“ organisiert und auch noch mit Journalisten gesprochen hatte.

In Birma gibt es seit gut einem Jahr einen beeindruckenden Reformprozess. Nachdem das Referendum über eine neue Verfassung, die die politische Macht des Militärs festschreibt, wie auch die Parlamentswahlen im November 2010 noch im alten Stil der Militärjunta stattfanden, haben die Reformen unter dem seit Ende März 2011 amtierenden Präsident Thein Sein an Glaubwürdigkeit gewonnen. Dabei war General Thein Sein zuvor Premierminister der Junta. Zu den Reformen gehörte im letzten Oktober und Januar die Freilassung politischer Gefangener. Eine dritte Freilassungswelle wurde inzwischen angekündigt.

Im April 2012 durfte die von Aung San Suu Kyi geführte Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie an den Nachwahlen teilnehmen. Sie gewann fast alle Sitze. Inzwischen herrscht in weiten Teilen Birmas Aufbruchstimmung, doch hat das Militär noch die Schlüssel zur Macht in der Hand, und noch sind die Reformen nicht unumkehrbar.

Bereits zuvor war Birmas bekanntester Komiker dreimal inhaftiert gewesen. „Ich habe fast elf Jahre für meine Witze im Gefängnis gesessen“, sagt er und lächelt die Folter und dreijährige Einzelhaft weg. „Wenn wir Angst haben, können wir keine guten Witze machen und verlieren unsere Meinungsfreiheit“, erklärt er. „59 Jahre ist einfach absurd. Aber das ist bei uns üblich. Manche bekommen 120 Jahre. Als ein Bekannter 65 Jahre erhielt, haben wir gewitzelt, dass er ja auch sechs Jahre älter sei als ich.“

Zu 59 Jahren verurteilt

„Zarganar benutzt Witze als Waffe, und weil er zu witzig war, wurde er eingesperrt“, sagt der deutsche Kabarettist Michael Mittermeier. Der 46-Jährige steht an diesem Abend erstmals in Berlin zusammen mit dem Birmesen auf der Bühne. Sie improvisieren auf Englisch eine Mischung aus Freilassungsfeier, interkultureller Stand-up-Comedy und politischer Veranstaltung. Weil die beiden normalerweise weder zusammen auftreten noch Englisch dabei sprechen und sich Ironie, Doppeldeutigkeiten und Sprachwitz nicht einfach übersetzen lassen, ist die Qualität des Humors nicht hoch.

Doch das trübt die Anerkennung und die Freude des Publikums nicht. Denn wann gibt es schon einmal so einen Grund, zu lachen? „Zarganar ist der mutigste Kabarettist des Planeten“, sagt Mittermeier. Umgekehrt lobt der Birmese den Mut des Deutschen, der einfach mit versteckter Kamera zu seinem Gefängnis in Nordbirma gefahren sei – letztlich ohne Zarganar treffen zu können.

Die beiden Kabarettisten verbindet der Film „This prison where I live. Zwei Männer, durch Comedy vereint, durch Unterdrückung getrennt“ (www.freezarganar.de). Mittermeier war im Januar 2010 nach Birma gereist, um mit dem britischen Filmemacher Rex Bloomstein einen Film über den inhaftierten Zarganar zu drehen und auf dessen Schicksal aufmerksam zu machen.

„Ich habe den Film im Gefängnis gesehen“, erzählt Zarganar dem staunenden Publikum. „Von einer raubkopierten CD. Ich hatte die Wärter bestochen.“ Nach einer Kunstpause fragt er: „Komme ich für dieses Geständnis jetzt wieder ins Gefängnis?“ Bereits zuvor hatte er im Journalistenkreis erzählt, wie sehr ihn der Film damals ermutigt habe. Alle Insassen des Gefängnisses in Myitkina (Kachin-Staat), eines von landesweit 42, hätten den Streifen gesehen. Selbst Kriminelle hätten ihm dafür Anerkennung ausgesprochen.

400.000 mal illegal kopiert

Doch erst in den letzten Jahren sei so etwas überhaupt möglich geworden. Durch internationalen Druck hatten sich die Haftbedingungen merklich verbessert. Zuvor habe er nicht einmal lesen dürfen. „Der Film wurde in Birma 400.000-mal illegal kopiert,“ freut sich Zarganar. Dazu Mittermeier: „In Birma muss man nur zehn Leuten eine DVD geben, und schon verbreitet sie sich illegal kopiert im ganzen Land.“

Zarganar sagt zu seiner Rolle als Kabarettist: „Witze und Comedy sind eine Erweiterung der Ohren und Augen der Menschen.“ Die Birmesen benutzten seinen Namen, um sich gegenseitig Witze zu erzählen, darunter auch solche, die er selbst gar nicht gemacht habe. „Sie benutzen meinen Namen zur freien Meinungsäußerung.“

Zarganar heißt „Pinzette“

Auf der Bühne verweist Mittermeier darauf, dass der Grat zwischen Comedy und Tragödie sehr schmal sein kann. Auch die Produktion des Films sei schwierig gewesen. Denn nach der Ankunft des undercover arbeitenden Filmteams in Birma hätten alle Interviewpartner abgesagt. Offenbar waren sie von den Behörden unter Druck gesetzt worden. „Deshalb tauche ich so oft im Film auf und muss erzählen, was andere nicht vor der Kamera sagen wollten“, sagt Mittermeier.

Doch den Film zu machen sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen. Dabei sei es sehr schwierig gewesen, den mit Menschenrechtsorganisationen ohne Honorar produzierten Streifen in Deutschland in Kinos und ins Fernsehen zu bringen. „Das ZDF zeigte ihn dann zwei Wochen nach Zarganars Freilassung im Oktober“, so Mittermeier.

Zarganar kam in der ersten große Amnestie unter dem neuen Reformpräsidenten Thein Sein frei. „Doch ich bin nicht wirklich frei, sondern nur unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen worden“, sagt Zarganar. Er könne jederzeit wieder verhaftet werden, sollte die Reformen gestoppt werden. „Der Reformprozess ist noch sehr fragil.“

Persönlich begegneten sich die beiden Kabarettisten erstmals Anfang dieses Monats. „Ich hatte das Gefühl, ihn sehr gut zu kennen, weil ich schon so viele Filmausschnitte über ihn bearbeitet hatte“, sagt Mittermeier.

Als Vermittler gefragt

Seit seiner Freilassung sei er oft aufgefordert worden, in die Politik einzusteigen, sagt Zarganar. „Ich bin sehr an Politik interessiert, aber ich möchte kein Politiker werden. Ich möchte mich um die junge Generation kümmern.“ Zu allen drei Strömungen der Opposition habe er ein gutes Verhältnis und er sei als Vermittler gefragt. „Ich erwarte einen Wahlsieg der Opposition erst für 2020“, sagt er. Bei den Wahlen 2015 werde es wohl eher auf eine Machtteilung mit der jetzigen Regierung und den hinter ihr stehenden Militärs hinauslaufen.

Die westlichen Staaten sollten ihre Sanktionen nur schrittweise aufheben. „Ich mag eigentlich keine Sanktionen, ich war ja selbst seit 1988 sanktioniert. Seitdem durfte ich nicht öffentlich auftreten.“ Die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi sei „wie unsere Mutter“, sagt Zarganar. „Ohne sie sind wir verloren.“

Doch selbstverständlich gebe es auch Witze über „die Lady“, wie Aung San Suu Kyi genannt wird: „Sie sitzt mit Präsident Thein Sein in einem Boot. Sie sitzen sich gegenüber und rudern. Doch so kommen sie natürlich nicht voran. Sie beschließen deshalb, sich umzudrehen. Jetzt sitzen sie Rücken an Rücken und rudern wieder …“

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