Biotechnologie-Forschung: Selektion durch patentiertes Sperma
Die Pharmaindustrie hat Schimpansen, menschliche Samenzellen und Gene von Krebskranken patentieren lassen. Das schade Tieren und Patienten, kritisieren Aktivisten.
BERLIN taz | Das Europäische Patentamt hat unter anderem Patente auf menschliches Sperma, Schimpansen und Gene von Krebspatienten erteilt. Das geht aus der Studie "Schwarze Liste europäischer Biotech-Patente" hervor, die der Verein Testbiotech und die Initiative "Kein Patent auf Leben!" am Montag veröffentlicht haben. Die Beispiele zeigten, wie ethisch fragwürdig das europäische Patentrecht sei. Patente berechtigen nur deren Inhaber dazu, eine Erfindung zu vermarkten.
Das Patent für menschliches Sperma ging laut Studie an die englische Firma Ovasort. "Der Patentinhaber hat ein Verfahren entwickelt, um aus Spermazellen diejenigen herauszufiltern, die ein weibliches X-Chromosom tragen." Patentiert worden sei nicht nur die Methode, sondern auch das Sperma von Menschen und Tieren. "Das Patent verletzt die Menschenwürde. Zudem wird einer Selektion von menschlichen Embryonen nach Geschlecht Vorschub geleistet", urteilt Testbiotech.
Für das Schimpansen-Patent der australischen Firma Bionomics wurden die Tiere der Organisation zufolge gentechnisch so verändert, dass sie an Epilepsie erkranken - für Tests von Medikamenten. Obwohl Tierversuche möglichst vermieden werden sollten, schaffe das Patent "ein Interesse daran, möglichst viele Tiere gentechnisch zu verändern und zu verkaufen", warnte Testbiotech.
"Monopolisierung der Gene"
Der Schweizer Pharmakonzern Novartis ließ laut Bericht Blut- und Gewebeproben einer Familie untersuchen, bei der Krebs in der Bauchspeicheldrüse besonders häufig vorkam. Die Wissenschaftler hätten mehrere Genabschnitte mit einer veränderten Genaktivität entdeckt, die patentiert worden seien. "Letztlich werden hier keine Erfindungen, sondern genetische Ressourcen patentiert, die für die Diagnose und Behandlung von Krankheiten essenziell sein können", kritisieren die Aktivisten. Die "Monopolisierung der Gene" behindere in vielen Fällen die Forschung.
Die ethischen Grenzen im europäischen Patentrecht müssten neu definiert werden, forderte Testbiotech-Chef Christoph Then. "Das Europäische Patentrecht ist eine Fehlgeburt." Es gehe hier nicht mehr um den Schutz von Erfindungen, sondern "um Ausbeutung der belebten Natur". Das sei zuletzt auch deutlich geworden, als konventionell gezüchtete Pflanzen wie Tomaten und Brokkoli patentiert wurden.
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen dagegen erklärte, Patente stellten sicher, dass Erfindungen veröffentlicht werden und andere Wissenschaftler daran weiterarbeiten könnten. "Und Patente sorgen dafür, dass die Erfinder und nicht Nachahmer die Früchte der Arbeit ernten; nur so können sie auch Zeit und Geld ins Erfinden investieren", schrieb Geschäftsführer Siegfried Throm der taz.
Das Europäische Patentamt teilte mit, es wende nur die bestehenden Gesetze an. "Auch Fragen des Tierschutzes, ob etwa Menschenaffen gentechnisch verändert werden dürfen oder nicht, hat nicht das Patentamt zu regeln, sondern der Gesetzgeber."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten