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Biometrie-Experte Maltzahn über Gesichtserkennung"Biometrie ist kein Allheilmittel"

Am Mittwoch stellt das BKA die Bilanz eines Modellversuchs zur Gesichtserkennung vor. Biometrie-Experte Maltzahn warnt vor zu großen Erwartungen.

Mann vor BKA-Überwachungskameras im Hauptbahnhof Mainz Bild: dpa

taz: Herr von Maltzahn, mit ihrer Firma L1 haben Sie im Mainzer Hauptbahnhof an einem Modellversuch des Bundeskriminalamtes (BKA) mit Gesichtserkennungs-Software teilgenommen. Wie lief dieses Experiment ab?

Harthmuth von Maltzahn: An dem Versuch nahmen 200 Freiwillige teil, deren Photos eine fiktive Fahndungsdatei bildeten. Mit Kameras wurden nun die Gesichter der rund 20.000 Personen, die täglich den Bahnhof passierten, gescannt und dann mit der "Fahndungsdatei" verglichen. Das BKA wollte herausfinden, ob die 200 Testpersonen auf ihrem täglichen Weg durch den Bahnhof stets erkannt werden.

Und wie war das Ergebnis? Werden künftig in allen Bahnhöfen Gesichtserkennungssysteme aufgebaut, um Terroristen und andere Kriminelle zu identifizieren?

Ich will der BKA-Präsentation nicht vorgreifen, aber es ist klar, dass jedenfalls eine flächendeckende Gesichtserkennung nicht realistisch ist, heute nicht und auch nicht in 50 Jahren.

Warum?

Weil sehr gute Bilder der Überwachungskameras erforderlich wären. Wenn die Entfernung zu groß, das Licht zu hell oder zu dunkel ist und vor allem, wenn die Menschen nicht in die Kamera schauen, dann gibt es keine brauchbaren Photos, die mit einer Fahndungsdatei verglichen werden können.

Bild: privat

Hartmuth von Maltzahn (40) ist Geschäftsführer des Biometrie-Unternehmens L1. Die Firma mit Sitz in den USA hat die deutschen Biometrie-Unternehmen Viisage und ZN aufgekauft.

In Mainz wurde eine Rolltreppe gefilmt...

Ja, das sind schon mal sehr gute Bedingungen, alle schauen in die gleiche Richtung. Aber man kann nicht verhindern, dass viele eben doch den Kopf senken. Außerdem garantiert auch ein gutes Photo noch nicht die sichere Identifikation. Die kann nicht der Computer leisten, sondern nur ein Mensch.

Weshalb?

Die Gesichtserkennungs-Software vergleicht 4.000 Punkte im Gesicht des Passanten mit jeweils 4.000 Punkten auf den Photos der Fahndungsdatei. Die Bilder mit der größten Übereinstimung werden vom Computer angeboten. Aber nicht immer ist die Nummer eins des Angebots auch der Treffer, es kann auch erst die Nummer drei oder Nummer fünf sein. Die angebotene Nummer eins könnte sogar ein Asiate sein, während der gescannte Passant offensichtlich Europäer ist.

Das ist ja kurios...

Das wäre praktisch. So weiß der Beamte am Computer sofort, dass dies kein Treffer ist.

Kann man sich auch tarnen, indem man zum Beispiel eine Sonnenbrille aufsetzt?

Dadurch verringert man natürlich die Zahl der übereinstimmenden Punkte, die Software stuft einen getarnten Passanten deshalb bei den Vorschlägen weiter hinten ein. Aber ein erfahrener Beamter kann trotzdem die Ähnlichkeit erkennen.

Das dauert aber alles seine Zeit...

Ja. Deshalb ist es nicht sehr realistisch, einen Passanten sofort zu identifizieren und zu verhaften. Auch das spricht gegen eine flächendeckende Gesichtserkennung. Man kann ja nicht neben jede Überwachungskamera einen Beamten stellen. Für realistischer halte ich den Einsatz an neuralgischen Punkten, wo in Ruhe ein gutes Bild gemacht werden kann.

Zum Beispiel?

Am Flughafen, wenn eine Maschine aus einem nicht vertrauensvollen Land ankommt. Dann könnten die Passagiere bei der Passkontrolle photographiert und die Photos mit einer Terroristendatei abgeglichen werden.

Hätten die Anschläge vom 11. 9. 2001 mit Hilfe von Gesichtserkennungs-Software verhindert werden können?

Nein. Die Täter lebten ja zuvor eher unauffällig und waren in keiner Datei erfasst. Vor übertriebenen Erwartungen kann ich nur warnen. Die Biometrie ist kein Allheilmittel.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Eingangskontrolle eine Person erkannt wird, von der ein gutes Bild in der Fahndungsdatei steht?

Bei Hooligans, die nicht ins Stadion sollen, können wir 50 bis 75 Prozent identifizieren. Da kritisieren nun manche Stadionbetreiber, das sei wenig. Aber es ist deutlich mehr als ohne Biometrie möglich wäre.

Und wie sieht es mit falschen Verdächtigungen aus?

Das hängt davon ab, wie das System eingestellt wird. Wenn mir niemand durch die Lappen gehen soll, muss ich viele falsche Treffer in Kauf nehmen. Letztlich müssen das in der Demokratie die Bürger entscheiden. Wer sicher leben will, muss einen gelegentlichen Falschverdacht akzeptieren, der ja schnell wieder aufgeklärt werden kann.

Es werden also viele ihr Flugzeug verpassen, weil sie erst der Polizei erklären müssen, dass sie kein Al Qaida-Mitglied sind...

Man kann sich ja auf vieles einstellen. Ich würde empfehlen, eine halbe Stunde früher zum Flughafen zu kommen.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

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