Biologe über Wölfe in Brandenburg: „Panikmache und Populismus“
Brandenburg hat eine Abschussquote für Wölfe angekündigt. Mit Falschmeldungen werde hier eine Agenda durchgedrückt, sagt Thomas Volpers vom BUND Brandenburg.
taz: Herr Volpers, der brandenburgische Agrar- und Umwelt-Staatssekretär Gregor Beyer plant eine Abschussquote für Wölfe. Das klingt wie eine Kampfansage an Umwelt- und Naturschützer. Was sagt der BUND dazu?
Thomas Volpers: Das ist eine Ansage, die sich nicht im Geringsten auf Fakten stützt.
taz: Abschussquote insinuiert, dass der Bestand der Wölfe reduziert werden soll. Wäre das rechtlich denn möglich? Noch ist der Wolf ja streng geschützt.
Volpers: Ja, aber der Schutzstatus auf EU-Ebene wird gerade gelockert. Der Wolf wurde bereits runtergestuft von streng geschützt auf geschützt. Da sind Kräfte am Wirken, die ein Interesse an einer Bejagung des Wolfes haben. Der Hintergrund ist, dass der Bestand in Europa bis weit rüber nach Russland ganz unterschiedlich ausgebildet ist. In manchen Regionen ist er immer da gewesen, in manchen Gebieten wie bei uns in Brandenburg ist er erst im Jahr 2000 zurückgekommen. Und es gibt Gebiete, wo er noch komplett fehlt. Wie gut sein Erhaltungszustand insgesamt ist, lässt sich deshalb nur schwer abschätzen.
67, ist Biologe und Naturschützer. Beim BUND Brandenburg ist er stellvertretender Vorsitzender.
taz: Umwelt-Staatssekretär Beyer hat gegenüber der Presse astronomische Zahlen genannt. „Ich gehe davon aus, dass wir (in Brandenburg) deutlich über 2.000 Wölfe haben“. Die in Beyers Haus zuständige Abteilung für Wolfsmonitoring spricht von 58 Rudeln. Zahlen über Individuen hat diese Abteilung nie veröffentlicht, weil sich die Populationsgröße von Wölfen nur schwer erheben lasse. Wie kommt Beyer zu seinen Zahlen?
Volpers: Das ist eine völlig unseriöse Aussage. Wenn wir von 58 Rudeln ausgehen, heißt das im Durchschnitt vier Tiere: Vater, Mutter und zwei Kinder. Wenn die bis in den Winter überlebt haben, sind das vielleicht 240 Tiere. Dann gibt es vielleicht noch eine ganze Reihe Streuner aus den Vorjahren – vielleicht noch mal 120, dann sind wir bei 360. Wenn man sagen würde: 500, wäre das auch schon sehr hoch gegriffen und eine sehr mutige Schätzung, die man nicht belegen kann. Aber 2.000? Das ist ja das Vierfache davon. Das ist völlig aus der Luft gegriffen.
Momentan ist der Wolf in Deutschland laut Fauna-Flora-Habitat-Richtline (FFH-Richtlinie) der EU als „streng geschützt“ eingestuft. Allerdings dürfen einzelne Wölfe, die nachweislich eine Gefahr für Menschen darstellen oder die durch Nutztierrisse zu ernsten wirtschaftlichen Schäden führen, nach behördlicher Freigabe getötet werden.
Ein Ausschuss des Europarates in Straßburg hat im Dezember den Schutzstatus von Wölfen von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabgestuft. Bis zum 7. März 2025 kann von den Unterzeichnerstaaten noch Einspruch gegen den Beschluss eingelegt werden. Geschieht dies nicht, wird der Schutzstatus gesenkt. Die EU-Kommission würde einen Vorschlag erarbeiten, der dann noch vom EU-Parlament und vom EU-Rat bestätigt werden muss.
Nach Herabsenkung des Schutzstatus in der FFH-Richtlinie können auch die EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Gesetzgebungen anpassen und den Wolf im Jagd- und Naturschutzrecht neu einordnen. (taz)
taz: Wie seriös sind die Angaben des Wolfmonitorings, das von 58 Rudeln spricht?
Volpers: Das sind seriöse Erhebungen. Als die ersten Wölfe in Deutschland wieder aufgetaucht sind, hat man die Chance genutzt und alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt. Genetische Untersuchungen von Kotproben wurden gemacht und Radio-Tracking. Das wurde auch in der Erwartung getan, dass es irgendwann zu Problemen kommen könnte. Wenn es ein Tier in Deutschland gibt, über das es ziemlich genaue Bestandsschätzungen gibt, ist es der Wolf.
taz: Was treibt Umwelt-Staatssekretär Beyer an?
Volpers: Er will die Wölfe in das Jagdrecht bringen. Die ganze Debatte um den Wolf wird weiter emotionalisiert, anstatt sie auf die sachliche Ebene zu führen. Angenommen, wir hätten tatsächlich 500 Wölfe – was ich wie gesagt für unrealistisch halte –, wäre die Statistik der Wolfsrisse doch die gleiche.
taz: 2024 wurden in Brandenburg fast 300 Wolfsangriffe auf Nutztiere mit mehr als 1.000 toten Tieren gemeldet.
Volpers: Daran lässt sich ablesen, dass der große Anteil der Wölfe überhaupt keine Probleme macht. Wir haben in Deutschland auf die gleiche Fläche bezogen viel mehr Wölfe als zum Beispiel in Schweden, wo die Wölfe regelmäßig gejagt werden, weil sie hier beim Wild genug Futter finden.
taz: Geht das genauer?
Volpers: Wir haben Rehe und Damhirsche in seit der Eiszeit nie da gewesenen Beständen. Und wir haben das Problem, dass die Rehe und Damhirsche im Wald massiven Schaden anrichten. Wir können eigentlich nur froh sein, dass der Wolf da ein bisschen ausdünnt. Dass die Rehe und Hirsche ein bisschen vorsichtiger sind und sich nicht tagelang am selben Platz aufhalten.
taz: Beyers Ziel ist, ab 2026 Wölfe in Brandenburg bejagen zu können.
Volpers: Viel besser wäre, wenn wir 2025 einen Plan machen, wie man sogenannter Problemwölfe besser habhaft wird.
taz: Also einzelne Tiere, die wiederholt 1,20 Meter hohe Weidezäune überspringen und Schafe reißen. Wie könnte das gehen?
Volpers: Wir müssen bürokratische Hürden abbauen und eine professionelle Jägergruppe bilden, die man tagesaktuell in ganz Brandenburg einsetzen kann, um diese Wölfe auszuschalten, unmittelbar nachdem Risse passiert sind. Zusammen mit Veterinären und Naturschützern müsste man eine Taktik entwickeln, wie man einen Wolf, der tatsächlich Schaden macht, wirkungsvoll verfolgen kann. In der Regel passieren Nutztierrisse ja nur bei Herden, die nicht ausreichend geschützt sind. Dann würde man vielleicht 10 oder 15 Wölfe erlegen. Ich glaube, die Naturschützer wären nicht böse drum, wenn das passiert, aber das ist eine Problembehandlung und keine Quote!
taz: Was würde eine Abschussquote bedeuten?
Volpers: Es ist zu befürchten, dass die ausgebildete komplizierte Sozialstruktur in den Rudeln dadurch komplett gestört würde. Der Herr Kucznik …
taz: … ein Schäfer im Süden Brandenburgs …
Volpers: … hat seit Jahrzehnten mit Wölfen zu tun. Er sagt: Leute, lasst mir meine Wolfsrudel in Ruhe. Der Grund ist, dass er den Wölfen mit Schutzmaßnahmen beigebracht hat, seine Schafe nicht zu fressen. Das funktioniert.
taz: Was passiert, wenn durch Abschuss aus den Rudeln einzelne Tiere rausgerissen werden?
Volpers: Wenn es die Leitwölfe sind oder die erfahrenen Wölfe, kann es dazu führen, dass die Jungwölfe keine Regeln mehr lernen. Dass sie eine andere Jagdstrategie entwickeln, als Wölfe normalerweise haben. Dass sie, wenn sie hungrig sind, das jagen, was sie am leichtesten kriegen. Das sind dann möglicherweise Schafe oder Kälber.
taz: Auf einem Wolfshearing in Prenzlau hat Gregor Beyer kürzlich noch von 1.000 Wölfen geredet. Klingt so, als verbreitet da ein politisch Verantwortlicher je nach Gusto und Tagesform Zahlen.
Volpers: Mir kommt das ein bisschen so vor wie die Migrationsdebatte, die im Moment so hochkocht. Es wird ein Mord begangen von einem Asylbewerber, der vielleicht schon längst hätte abgeschoben werden müssen, oder auch nicht. Die Folge ist, wir lassen überhaupt keinen mehr ins Land. Das ist völlig überzogen und gänzlich ohne Grundlage. So ähnlich ist es, wenn man sagt: 2.000 Wölfe. Das Hearing in Prenzlau ist noch keine vier Wochen her, und auf einmal sollen doppelt so viele Wölfe im Land sein. Das ist keine Politik, das ist Panikmache und Populismus.
taz: Brandenburg wird seit Neustem von SPD und BSW regiert. Grüne und Linke sind nicht mehr im Landtag vertreten. Wer könnte Beyer stoppen?
Volpers: Auch in anderen Parteien gibt es zum Glück noch vernünftige Menschen. Das sind ja nicht alles nur Leute, die jagen und schießen wollen.
taz: Beyer ist selbst Jäger. Wie empfinden Sie den Wechsel von einem Grünen-Umweltminister zu einer SPD-Ministerin, die wegen ihrer Vorgeschichte als Inhaberin von Hühnerfarmen einen zweifelhaften Ruf hat? Und ihrem Staatssekretär, der kürzlich noch FDP-Mitglied war und 2014 mit der Parole Wahlkampf gemacht hat: „Biber abschießen“?
Volpers: Bei der Vorgängerregierung hatte ich – gerade bei der Diskussion um das Jagdgesetz – das Gefühl, die Polemik kam von außen. Der grüne Umweltminister Vogel hat versucht, mit fachlichen Argumenten und fachlicher Unterstützung ein bisschen was im Jagdgesetz zu drehen, zugunsten des Waldes. Jetzt sieht es so aus, dass offensichtlich im Ministerium Polemik und Falschmeldungen gestreut werden, um eine politische Agenda durchzudrücken.
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