Biokraftstoffe: Sprit vom Acker hilft dem Klima nicht
Eine neue Studie sieht bei Agrosprit eine negative Klimabilanz. Der Hauptgrund sind Stickoxide, die beim Düngen entweichen.
BERLIN taz Agrosprit tanken und so das Klima schützen - laut einer aktuellen Studie eines Wissenschaftlerteams um den Nobelpreisträger Paul Crutzen stimmt diese These nicht. Im Gegenteil: Der alternative Treibstoff verursache mehr Treibhausgase als Benzin. Hauptgrund: Beim Anbau der Spritpflanzen wird viel gedüngt, wodurch klimaschädliches Gas entweicht.
Im Dünger bildet Stickstoff einen wichtigen Bestandteil, da er als Nährstoff das Pflanzenwachstum fördert. Beim Abbau des Düngers wandeln Mikroorganismen einen geringen Teil des Stickstoffs in Distickstoffmonoxid (N2O) um, das in die Atmosphäre gelangt. N2O, auch unter dem Namen Lachgas bekannt, ist ungefähr 300-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid (CO2). Der UN-Klimarat IPCC ging bislang davon aus, dass die Mikroorganismen maximal 2 Prozent des Düngerstickstoffs umwandeln. Crutzens Team spricht jetzt dagegen von 3 bis 5 Prozent.
Das Forschungsergebnis kommentiert der Koautor der Studie, Keith Smith von der University of Edinburgh, so: "Es bedeutet, dass alle vermuteten Vorteile des Agrosprits noch mehr anfechtbar sind als bislang gedacht." Bewahrheitet sich das, stünde die Zukunft der Agrotreibstoffe in Frage. Denn Crutzen ist ein renommierter Wissenschaftler: 1995 gewann der Niederländer den Nobelpreis für Chemie für seine Arbeit über das Ozonloch, inzwischen ist der 73-Jährige emeritierter Direktor des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie.
Über die Umweltverträglichkeit von Agrotreibstoffen wurde in den letzten Monaten heiß diskutiert. Die OECD fordert, laufende Subventionen in Forschungsförderung umzuwandeln. Die Produktion von Agrosprit treibe Lebensmittelpreise in Entwicklungsländern in die Höhe, und durch den Düngemittelbedarf entstünden hohe Kosten. Das Leipziger Institut für Energetik und Umwelt argumentiert dagegen, durch Biokraftstoffe könne die Emission von Klimagasen um mindestens die Hälfte reduziert werden.
Momentan wird mehr als 80 Prozent des Agrosprits in Europa aus Raps gewonnen. Diese Pflanze schneidet in der aktuellen Studie am schlechtesten ab. Im Vergleich zu fossilen Treibstoffen sei die relative Erwärmung durch N2O-Emissionen beim Rapsanbau um bis zu 1,7-mal höher als der entstehende Gegeneffekt durch eingespartes CO2. Bei Agrosprit aus Mais liege der Faktor zwischen 0,9 und 1,5, bei Zuckerrohr zwischen 0,5 und 0,9. Als eine brauchbare Alternative dient Letzterer trotzdem nicht, da für dessen Anbau Urwald gerodet werden muss.
Kaum wurde die Studie von Crutzens Team in dem Fachmagazin Atmospheric Chemistry and Physics online veröffentlicht, hagelte es Kritik. So heißt es beispielsweise vom Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie: "Crutzen hat nur ein Rechenmodell erstellt. Mit der Realität hat es nichts zu tun." Verbandssprecher Frank Brühning hält die angenommenen Düngermengen für unrealistisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren