Bio-Händler über Bio-Discounter: "Bio und Discount vertragen sich nicht"
Kann es den richtigen Markt im falschen geben? Michael Radau, Gründer der SuperBioMarkt AG, über Billigketten, die Perspektiven des Biohandels - und "eine andere Lebenseinstellung".
taz: Herr Radau, Sie haben eine der ersten Bio-Supermarkt-Ketten Deutschlands gegründet - eine kleine Revolution. Was wollen Sie erreichen - wirtschaftlichen Erfolg oder politischen Einfluss?
Michael Radau: In erster Linie bin ich Unternehmer. Aber auch die Botschaft ist mir sehr wichtig. Schutz der Umwelt und gesunde Ernährung gehen Hand in Hand. Jeder hat über sein Konsumverhalten die Möglichkeit, etwas zu bewegen.
Wollen Sie die alten, konventionellen Handelskonzerne aus dem Feld schlagen?
Ich biete eine glaubwürdige Alternative. Wenn ich die richtig kommuniziere, wechseln viele Menschen nahezu automatisch zu uns.
Sie haben als Verkäufer in einem kleinen Bioladen angefangen. War das eines dieser Geschäfte für Überzeugungseinkäufer, in denen alles sehr langsam geht?
Nein, dieser Laden war nicht typisch für die Szene. Da kauften Kunden aus allen politischen Lagern ein. In dem Laden musste man sich an der Türe nicht zur reinen Lehre bekennen, um eingelassen zu werden.
Trotzdem wollten Sie weiter. Was hat Sie an dem Konzept des traditionellen Bioladens gestört?
Der Betrieb war zu klein, er lag zu versteckt. Und ihm fehlte etwas.
Worin bestand der Mangel?
Nach dem Atomunfall von Tschernobyl 1986 setzten sich die Menschen intensiver mit gesunder Ernährung auseinander. Bio wurde eine Werbeaussage. Um aber aus der Nische herauszukommen, musste man die Leute so ansprechen, wie sie es gewohnt waren. Die meisten kauften im konventionellen Supermarkt. Also musste man den Super-Bio-Markt entwickeln.
Wodurch unterschied sich der Biosupermarkt vom Bioladen?
Ich habe Komponenten eingeführt, die es damals im Naturkosthandel nicht gab: Frischfleischtheken, Selbstbedienung, Einkaufswagen, Check-out-Kassen. Anders als im konventionellen Supermarkt haben wir aber auch eine angenehme Atmosphäre geschaffen. Einkaufen ist ja kein notwendiges Übel, wir besetzen es positiv. Unser Angebot umfasst regelmäßige Genießerabende und Weinproben.
Sie haben den Schritt von klein zu mittelgroß vollzogen. Was kommt als Nächstes? Der Biodiscounter?
Auf keinen Fall. Dafür müsste Bio viel stärker in der Gesellschaft verankert sein, als es heute der Fall ist. Aber selbst dann würde ich Biodiscount nicht für sinnvoll halten. Discount bedeutet immer, die Kosten möglichst weit zu drücken. Vor allem beim Personal. Das ist nicht der richtige Weg.
Öko und Discount vertragen sich nicht?
Nein, die passen nicht zusammen. Es hat schon mehrere Versuche gegeben, beides zu kombinieren. Keiner war erfolgreich.
Welchen Marktanteil müsste der Handel mit biologischen Nahrungsmittel erreichen, um über den Schritt zum Discount nachdenken zu können?
Im Moment liegen wir bei 6 Prozent des gesamten Lebensmittelhandels. Vielleicht ab 25 Prozent Marktanteil könnten sich Verkaufsformen durchsetzen, die rationeller sind, die weniger Beratung beinhalten.
Also wird es doch irgendwann Märkte geben wie Kaisers oder Metro, in denen ausschließlich Bioprodukte verkauft werden?
Genau das tun wir und andere Filialketten bereits. Im Gegensatz zum traditionellen Supermarkt bieten wir die Kompetenz und Atmosphäre des Fachhandels.
Warum kann man das Personal im Biohandel nicht so reduzieren wie bei Aldi?
Weil unsere Kunden das nicht akzeptieren.
Wieso nicht?
Die Leute erwarten eine Dienstleistung, sie verlangen Beratung. Zu unserer Philosophie gehört es, auf Fragen von Kunden niemals zu antworten "Nein, haben wir nicht". Wir versuchen immer, die Bedürfnisse zu erfüllen. Dafür braucht man mehr Personal als im Discounter. Und die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, eigene Verantwortung zu übernehmen.
Mit Billiglöhnen bekommt man keine guten Beschäftigten. Arbeiten in Ihren Geschäften Leute, die 5 Euro Lohn pro Stunde oder weniger verdienen?
Schüler, die stundenweise bei uns aushelfen, um ihr Taschengeld aufzubessern, erhalten unter Umständen 5 Euro netto. Festangestellte Arbeitskräfte im Verkauf und in der Verwaltung verdienen natürlich mehr. Die sollen von ihrer Arbeit vernünftig leben können.
Was heißt das in Euro?
Die Untergrenze liegt bei etwa 8 Euro pro Stunde.
1.400 Euro brutto pro Monat sind nicht viel. Was halten Sie aus Ihrer Perspektive von der Einführung eines Mindestlohns, über den die große Koalition in Berlin diskutiert?
Nicht viel. Das sollte man der Verantwortung und individuellen Abstimmung der Vertragspartner überlassen - also den Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Existieren bei der SuperBioMarkt AG Betriebsräte oder Gewerkschaftsgruppen?
Nein. Darauf haben die Mitarbeiter bisher keinen Wert gelegt. Sollte es dazu kommen, wäre das auch okay.
Komisch fänden Sie es aber schon?
Einen Betriebsrat halte ich für überflüssig. Wir haben Arbeitsgruppen zwischen Unternehmen und Beschäftigten, auch zum Thema "Gehaltsstruktur". Solange diese unkomplizierte Verständigung funktioniert, braucht man keine institutionalisierte Kommunikation.
Zurzeit expandiert der Biohandel. Wann wird seine Ausdehnung an eine Grenze stoßen?
In absehbarer Zeit können wir bis zu 20 Prozent Marktanteil erreichen. Aber Bio für alle? Das wird nicht funktionieren.
Warum nicht?
Die Lebenseinstellung vieler Menschen steht dem entgegen. Gute Ernährung hat hierzulande keine Priorität. Die Schweizer dagegen kaufen viel mehr Biolebensmittel als die Deutschen.
Kein Wunder - Bio ist nicht billig und die Schweiz reicher als Deutschland.
Das ist nicht der Punkt. In Deutschland leben mindestens so viele wohlhabende Menschen wie in der Schweiz. Die könnten sich eine gesunde Ernährung durchaus leisten, tun es aber nicht.
Liegt es an der Verarmung, die vielen Leuten keine andere Chance lässt, als bei Aldi einzukaufen?
Ich behaupte, auch Hartz-IV-Empfänger könnten sich Biolebensmittel in gewissem Umfang leisten. Man muss allerdings seinen Lebenswandel ändern, selbst kochen und darauf achten, welche Nahrungsmittel je nach Saison und Region günstig angeboten werden. Dann kommt man auch mit geringem Einkommen ziemlich weit.
Sie sagen: Nicht die vergleichsweise hohen Biopreise begrenzen die Nachfrage, sondern die falschen Kaufentscheidungen?
So ist es. Wie belohnt man sich denn heute? Nicht mit guten Lebensmitteln, sondern mit Handys und Süßigkeiten. Allerhöchstens im Urlaub in der Toskana gönnt man sich wohlschmeckenden Käse und Wein - im Alltag nicht.
Sie leiden am deutschen Verbraucher und seiner falschen Gesinnung.
"Leiden" ist das falsche Wort. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, den Leuten klarzumachen, welche exzellente Qualität der Biohandel anbietet. Dafür lohnt es sich, Geld auszugeben. Ich kämpfe für eine andere Lebenseinstellung. Wenn wir dieselbe Qualität, die wir vom Auto erwarten, auch bei Lebensmitteln verlangen würden, wäre schon viel gewonnen.
Sie engagieren sich in traditionellen Wirtschaftsverbänden und der Industrie- und Handelskammer. Was wollen Sie dort erreichen?
Ich sehe meine Aufgabe darin, Ökologie und Ökonomie zu verbinden. Auch Verbände können dabei ein Mittel zum Zweck sein.
Schlägt Ihnen vom alteingesessenen Mittelstand kein Argwohn entgegen?
Am Anfang, ja. Aber die Leute haben gemerkt: Der trägt keine lila Latzhose und will uns nicht bekehren. Er bringt Ideen ein, über die man nachdenken kann.
Trotzdem sind Sie bei der Industrie- und Handelskammer ein Exot.
Was die Produkte betrifft, ja. Meine Kollegen aus dem Naturkosthandel lassen sich auf die traditionelle Verbandstätigkeit selten ein. Da werden auch Chancen zur Einflussnahme vergeben.
Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Vor einer Woche bin ich genau das gefragt worden. Man hat mir ein Amt angetragen. Ich habe geantwortet: Wenn du mir den Tag zwischen Sonntag und Montag zeigst, bin ich bereit. Für Politik fehlt mir einfach die Zeit.
Wohin würden Sie tendieren, falls sich das einmal ändern sollte?
Ich wäre ein konservativer Grüner oder grüner Konservativer.
INTERVIEW: HANNES KOCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen