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Bingewatching auf Europäisch? Das ist kein GeschenkZum Glück gibt’s ja noch den Norden!

Die Couchreporter Heute: Peter Weissenburger

Tief in mir steckt ein kleiner Europapatriot. Den schmerzt es, wenn in den USA wieder eine Serie angelaufen ist, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, während man hier drüben höchstens plump kopiert. Der schämt sich zutiefst, wenn Bastian Pastewka sich als „Walter White“-Double versucht.

Entsprechend groß war meine Freude schöner Götterfunken als ich hörte, dass man diese Woche die Wettbewerbsbeiträge beim „Prix Europa“-Festival kostenlos streamen kann. Also tschüss „House of Cards“, „Stranger Things“ und „Modern Family“. Diese Woche glotze ich europäisch.

Wenn Sie jetzt sagen „Prix …was?“, dann liegt das daran, dass das Festival, das gerade zum 30. Mal stattfindet, bisher eher branchenintern bekannt ist: ein Treffen europäischer ProgrammmacherInnen, bei dem auch Preise verliehen werden. „Uns wurde öfter vorgeworfen, eine reine Fachveranstaltung zu sein“, sagt Festivaldirektorin Susanne Hoffmann. „Deswegen haben wir in diesem Jahr überlegt, wie wir auch das normale Publikum teilhaben lassen können.“

Und so werden im festivaleigenen „Heimkino“ alle 91 nominierten Beiträge hochgeladen: Fernsehfilme, Dokumentationen, Radiofeatures – und eben Serien. Von denen gibt es je eine Folge mit englischen Untertiteln. Genug, um sich ein Bild zu machen, wohin Europa steuert – also in Sachen serielles Erzählen.

Es geht ernüchternd los: mit den österreichischen „Vorstadtweibern“. Ein Versuch, zehn Jahre verspätet „Desperate Housewives“ zu plagiieren. Zum Glück findet man im „Heimkino“ schnell den Ausgang. Also weiter: „Rapl“ („In Rage“) aus Tschechien ist herrlich tristgrau, aber nur ein weiterer „Guter Cop, der aber ein Arsch ist“-Krimi. Die katalanische Serie „Merlí“ versucht sich am Cooler-Pauker-Genre, hat dabei aber „Unser Lehrer Doktor Specht“ nichts hinzuzufügen. Inzwischen ist es tief in der Nacht und ich bin kurz davor, zu Netflix zurückzukriechen.

Erlösung kommt mit „Ófærð“ („Trapped“). Die isländische Serie hat alles, was man sich von einem nordischen Thriller wünschen kann: eine eingeschneite Kleinstadt, eine kopflose Leiche, eine Fähre voller Verdächtiger – und ein Mädchen, das gegen Ende orakelt: „Hier kommt keiner weg – auch nicht der Mörder.“ Brrrrr. Mindestens ebenso klaustrophobisch beginnt „Hashtag“ aus Schweden, eine Miniserie über zwei Schülerinnen, die ihre Schule per Internetpranger in anarchistische Zustände stürzen. Facebookalypse now.

Es ist also wieder der Norden, der zeigt, wie man aus Geschichten Drogen macht. Schon 2012 hat die dänisch-schwedische Koproduktion „Die Brücke“ bewiesen, dass Suchtfaktor auch auf europäisch geht, ebenso die dänischen Serien „Borgen“, „The Legacy“ und „The Killing“ – letztere wurde sogar in den USA kopiert.

Nur: Was machen die richtig? „In den nordischen Ländern hat man früh das Konzept des ‚writers’room‘ etabliert“, sagt Festivaldirektorin Hoffmann. „Den Autoren wird viel Raum gegeben und möglichst viel Freiheit gelassen.“ Das weiß man auch beim „Prix Europa“ zu schätzen – dort gibt es am Freitag einen ganztägigen Masterkurs im „Nordic Story Telling“. Also Stifte raus, durchatmen – go Europe!

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