: Binäre Phrasierung, Burroughs und brutaler Männlichkeitskult
■ Matthias Wichmann, als Lehrer aus Elmshorn fast zwangsläufig auch ein Wanderer zwischen den Welten, erklärt den Heavy Metal
Der vor kurzem umgezogene Brodelpott lädt regelmäßig ein, auf daß wir „Fremdes verstehen – Neues entdecken“ können. Im letzten Monat gab es eine „klingende Einführung in die türkische Musik“, nun wurde mit Unterstützung der Volkshochschule eine „kurze Geschichte des Heavy Metal“ mit dem Referenten Matthias Wichmann angeboten.
Für gewöhnlich sind es christliche Moralisten, die sich dieser ,Teufelsmusik' widmen – und dann immer gleich in hundertseitigen Portionen. Oder es gehen Pop-Theoretiker mit adornitischem Theoriebesteck her und stochern – nicht gerade hoffnungsvoll – nach einem subversiven Potential. Und bisweilen macht sich auch einer aus der Szene daran, 'seine' Musik gegen die Anwürfe zu verteidigen, die da laut Eintrag in einem von Matthias Wichmann zitierten Rocklexikon lauten: „überdimensionierte Lautheit“, „brutaler Kult der Männlichkeit“, „Musik der unterprivilegiertesten Gesellschaftsschicht mit Hang zum Rechtsradikalismus“.
Wichmann, Lehrer in Elmshorn, nähert sich dem Objekt gleich von mehreren Richtungen. Erstens verfügt er über eine Vergangenheit als Fan, studierte zweitens Musik und Komposition, ist also auch in der Lage, das Phänomen musiktheoretisch zu untersuchen, und drittens ist er eben Lehrer, was zwar nicht notwendig zu jugendschützerischen Ambitionen führt, aber doch des öfteren mit der beruflich bedingten Verantwortlichkeit eine fruchtbare Ehe eingeht.
So erfuhren wir, daß der Begriff 'Heavy Metal' von den Beat-Literaten kommt, genauer von William S. Burroughs, der einst von einem 'Heavy Metal Kid' schrieb. Wir hörten aber auch, daß der klassische Heavy Metal der frühen Achtziger in aller Regel „binär phrasiert“ wurde, und die Sänger sich eher am opernhaften Kunstgesang orientierten als ihre von pentatonischen Bluesskalen inspirierten Hardrock-Vorfahren.
Und es gab noch mehr Interessantes zu erfahren. So habe es Ende der Achtziger eine Generation von Gitarristen gegeben, die durch immer avanciertere Tonleitern rasten. „Tiefalterierte Quinten“ gab es dort ebenso wie Mischungen aus „mixolydischen und chromatischen Skalen“, bis dann Grunge kam. „Sicherlich vielen von Ihnen ein Begriff“, fuhr Wichmann den Anwesenden um den Bart.
Auch die aktuelle Entwicklung war dem Referenten noch ein paar Erläuterungen wert, wobei er vor allem in den etwas abseitigeren Verästelungen des Genres Wissenslücken offenbarte, Black Metal mit Doom-Metal in einen Topf warf und die Liebes-, Schein- und Zweckehen mit anderen Genres, die es auch im Schwermetall immer wieder gab, nur sehr unvollständig referierte.
Das unfreiwillig Erheiternde an so einer Veranstaltung dürfte aber in erster Linie darin bestehen, daß das behandelte Thema für gewöhnlich, wenn überhaupt, nur von komischen Vögeln wirklich ernstgenommen wird. Das Feuilleton rümpft die Nase, und die Fans holen sich einfach nur ihren Spaß ab, ohne großartig ins Theoretisieren zu kommen, wie das ja anderswo durchaus beliebt ist. Übrig bleiben auf der einen Seite christliche Elternverbände, die glauben, ihre Kinder ausgerechnet vor dem Teufel höchstpersönlich schützen zu müssen, und auf der anderen Seite ein paar hartnäckige Fans, die es nicht verwinden können, daß eben gerade 'ihre' Musik nicht ernstgenommen wird.
Ach ja, und der Vorwurf des Rechtsradikalismus ist auch nicht haltbar, nur daß das klar ist. Die meisten Metals sind ganz normale Leute, wie Wichmann erläuterte, die, wenn überhaupt, dann mit politisch liberalen Kreisen sympathisieren. Beruhigend auch, daß sie keine kleinen Kinder fressen.
Andreas Schnell
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