piwik no script img

Billy Bragg über Linke"Patriotismus kann doch o.k. sein"

Nicht Kapitalismus, Zynismus ist der wahre Feind der besseren Gesellschaft, meint der britische Politbarde Billy Bragg. Und sinniert darüber, welche Ziele sich die Linke heute stecken sollte.

Meint heute volle Enfaltung des Individuums, wenn er von Sozialismus spricht: Ex-Punk Billy Bragg. Bild: cooking vinyl

Mr. Bragg, seit einem Viertel Jahrhundert verbinden Sie das Persönliche mit dem Politischen. Alte Feindbilder wie Margaret Thatcher und der kalte Krieg sind aber längst verschwunden. Wofür kämpfen Sie heute noch?

Über die Jahre habe ich gemerkt, dass der wahre Feind von allen, die für eine bessere Gesellschaft kämpfen, nicht Konservative oder Kapitalisten sind. Es ist der Zynismus, der unsere Gesellschaft zerfrisst. Kapitalismus ist nur ein Ausdruck davon. Er verlässt sich darauf, dass die Leute zynisch sind. Ich kämpfe oft selbst damit. Aber mir ist klar, dass meine Wut über die Verhältnisse sinnlos ist, solange ich sie nicht in etwas Praktisches verwandele. Indem ich meinen eigenen Zynismus überwinde und Songs schreibe, versuche ich, mein Publikum zu ermutigen, auch seinen Zynismus zu überwinden.

Ironie und Humor gehen also in Ordnung, aber nicht Zynismus.

Auch Skepsis und Zweifel sind O.k. Aber Zynismus ist das Ende. Zyniker haben immer alle Antworten. Alles ist schlecht und falsch, egal wofür man kämpft. Alles ist käuflich. Mit solchen Leuten kann man nicht reden. Mit denen bin ich durch.

taz: Nach sechs Jahren gibt es mit "Mr Love & Justice" wieder ein neues Album von Billy Bragg. Ist das so eine Art Comeback?

Billy Bragg: Für mich ist es kein Comeback, denn ich habe die ganze Zeit gearbeitet. Ich habe zum Beispiel gut zwei Jahre an einem Buch über nationale Identität geschrieben. Als "The Progressive Patriot" veröffentlicht wurde, war ich damit auf Buchmessen unterwegs und allem, was dazugehört. Ich war also nicht faul.

In den 80er Jahren, zu Zeiten des Kalten Krieges, sind Sie in Nicaragua, der Sowjetunion und der DDR aufgetreten. Hatten Sie damals das Gefühl zu wissen, was sie tun?

Nicht immer. In die DDR wurde ich eingeladen, weil ich ein Gegner von Margaret Thatcher war. Die DDR-Funktionäre glaubten ernsthaft, dass ich deshalb ihr System unterstützen würde. Wie blöd kann man nur sein? Daran war natürlich nie zu denken. Am Ende haben sie mich dann ja auch rausgeworfen. Ich wollte mir damals einfach ein eigenes Bild machen, wie der real existierende Sozialismus aussieht. Was ich sah, hat mich nicht überzeugt. Aber die Reisen haben mir viel gegeben - sei es, dass ich mit russischen Soldaten gesprochen haben oder etwas über die Geschichte Europas gelernt habe.

Gibt es heute ein Land, wo Sie gerne spielen würden, weil es gesellschaftlich ein Vorbild sein könnte?

Es gibt ein europäisches Land, in dem die Regierung vor kurzem entschieden hat, reiche Leute zur Kasse zu beten, die keine Steuern bezahlen wollen und ihr Geld lieber in Lichtenstein verstecken. Für solche altmodischen sozialistischen Ideen bin ich immer zu haben. Ich komme gerne in ein Land, in dem die Regierung erklärt, dass alle Steuern zahlen müssen und Reiche mehr als Arme bezahlen.

Und wie sieht es mit sozialistischen Ländern wie Cuba oder Venezuela aus?

Länder, in denen Ideologie wichtiger ist als die Menschen, sind meist keine glücklichen Länder. Heute bin ich bei jedem Land skeptisch, in dem es ein "Politbüro" gibt.

Ich war nie Revolutionär, sondern setze mich für eine tolerante Gesellschaft ein. Um eine faire Gesellschaft aufzubauen, muss man den Kapitalismus nicht abschaffen. Mein Verständnis von Sozialismus ist heute, dass jedes Individuum nur dann sein volles Potenzial entfalten kann, wenn es für lebensnotwendige Dinge eine kollektive Vorsorge gibt. Dazu gehören etwa kostenlose Gesundheits- und Bildungssysteme, bezahlbarer Wohnraum, angemessene Renten und ein progressives Steuersystem.

Was bedeutet für Sie heute politisch "links" zu sein?

Wir leben in einer post-ideologischen Zeit und ringen noch um die richtige Sprache, um die Herausforderungen zu beschreiben. Ich glaube, die ideologische Sprache von Karl Marx ist dem nicht mehr gewachsen, auch weil sie zu sehr vereinfacht. Aber die Probleme, über die Marx schrieb, sind noch immer ungelöst. Wir müssen dafür eine neue Sprache finden, die jeder versteht und deren Botschaft jeder schon ahnt. Sie lautet: Niemand kann allein in einer modernen kapitalistischen Gesellschaft überleben. Kooperation ist für alle zum Überleben notwendig.

In meinem Land haben wir diese Lektion während des Zweiten Weltkrieges gelernt. Gleich danach haben wir den Wohlfahrtsstaat eingeführt. Für diese Einsicht mussten wir einen sehr hohen Preis zahlen. Er war zu hoch, als dass wir ihn uns noch mal leisten könnten.

Weltweit scheint der Kapitalismus das Modell des Wohlfahrtsstaates aber zu überrunden.

Nach dem Ende des Kalten Krieges hieß es, der freie Markt werde jetzt alle Probleme lösen. Das war natürlich falsch, denn der Markt merzt die Vielfalt aus und strebt nach Monopolen. Es reduziert die Wahlfreiheit: Der "Freie Markt" will lieber einen Musiker der 10 Millionen Platten verkauft als 1.000 Künstler, die jeder 10.000 Platten verkaufen.

Vor welchen Herausforderungen steht heute linke Politik?

Ich denke, es ist die Frage, wie man ein Gleichgewicht zwischen einer Konsumgesellschaft und einer fairen Gesellschaft findet. Für mich ist dabei entscheidend, dass die Rechte des Individuums durch die Gemeinschaft garantiert werden. Für eine faire Gesellschaft muss der Kapitalismus nicht zerschlagen, aber in jedem Fall begrenzt werden. Denn Globaler Kapitalismus ist wie ein Feuer: Wenn man ihn nicht kontrolliert, werden wir daran zu Grunde gehen.

Solange wir diese Balance zwischen der Konsumgesellschaft und einer mitfühlenden Gesellschaft nicht gefunden haben, wird der Markt die Substanz unserer Gesellschaft weiter zerstören. Der Staat muss sich deshalb wieder auf seine Verantwortung besinnen und dafür sorgen, die Rechte der Individuen wieder in ein ausgewogenes Verhältnis zu ihren Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zu bringen.

Geben Sie ihre Stimme noch immer der Labour Party?

Nein, für Labour wähle ich schon seit 1997 nicht mehr, als Tony Blair Regierungschef wurde. Wo ich lebe, kann ich sowieso die nur die Liberal Demokraten wählen, wenn ich die Konservativen verhindern will.

Sie haben sich in ihrem Buch "The Progressive Patriot" viele Gedanken über britische Identität gemacht. Was ist ein "progressiver Patriot"?

Patriotismus ist nicht immer negativ. Während der letzten Fußball WM war es toll zu sehen, dass die Deutschen ihre Fahne wiederentdeckt haben. In diesem Kontext war es ok, denn es ging um Fußball, Feiern und Gastfreundschaft. Patriotismus hängt immer davon ab, in welchem Zusammenhang er stattfindet. Wenn man seinen lokalen Stolz in so einem Rahmen auslebt, dann ist das nicht negativ.

Ihre Vorstellung eines toleranten Patriotismus steht aber im Gegensatz zum Euro-Skepsis, die in Großbritannien herrscht.

Es ist schon komisch, dass ausgerechnet die Briten EU-skeptisch sind, denn unser Land ist eine Union von vier Ländern. Auch unser Fahne, der Union Jack, ist eine Kreuzung aus vier unterschiedlichen Fahnen. Wenn Großbritannien für etwas steht, dann doch für Multikulturalismus. Die Briten haben kein Problem mit der EU. Wir haben aber ein Problem mit einem mächtigen Deutschland. Wir haben ein Problem mit Frankreich. Ja, es gibt bei uns eine Germano-Phobie. Das ist eine Schande, aber wir sind ebenso Gefangene unserer Vergangenheit wie die Deutschen. Das müssen wir überwinden.

Letztes Jahr haben Sie für die neunte Beethoven Sinfonie Ode an die Freude einen neuen englischen Text geschrieben. Sogar die Queen war bei der Uraufführung dabei. Wie hat es ihr gefallen?

Das Werk wurde von einem Orchester und einem Chor mit 1500 SängerInnen vorgetragen. Wir saßen ein paar Logen über der Queen und während der Chor sang, konnte ich sehen, wie die Queen im Programmheft meinen Text mit ihrem Finger verfolgte. Das war echt cool. Ich habe Schillers Text der Ode an die Freude aber nicht übersetzt, sondern mich von dem Kernsatz inspirieren lassen der lautet: Alle Menschen werden Brüder. Es geht mir um Versöhnung und Einigkeit - und es ist schön, dass die Sinfonie auch die Europa Hymne ist.

War Ihre Mutter beeindruckt?

Oh ja! Sie ist super stolz und war da, als die Queen mir die Hand schüttelte. Hätte ich gewusst, dass ich die Queen noch treffen würde, dann hätte ich Ihr ein T-Shirt mitgebracht. Das hätte ihr sicher gefallen. Später meldete sich ihr Privatsekretär bei den Organisatoren mit der Bitte, die Queen möchte die Noten mit meiner Unterschrift haben. Ist das nicht Irre?

Vom Punk Rocker zum Queen Verehrer. Ist Billy Bragg jetzt voll im Establishment angekommen?

Ich habe ein ganzes Buch über britische Identität geschrieben. Wie könnte ich da nicht in die Augen unserer Königin blicken wollen? Sie ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Seitdem ich lebe, ist ihr Gesicht auf jede Münze geprägt. Man könnte es damit vergleichen, als wäre Adenauer heute noch Kanzler von Deutschland. Ich war sehr neugierig darauf sie zu treffen. Das heißt nicht, dass ich sie toll finde oder mich zum Ritter schlagen lassen würde. Für Prinz Charles hätte ich zum Beispiel auch keine Zeit.

INTERVIEW: TARIK AHMIA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!