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Billige Hilfskräfte fürs Fließband

■ Ex-Teilnehmerinnen der „Werkstattschule für Mode und Gestaltung“: Frauenprojekt war nur „große Verarschung“ / Nähkurse ohne Zukunftsperspektive und Fabrikmaloche statt Qualifizierung / Senat will Sozialhilfeempfängerinnen-Projekt dennoch weiterfördern

Würde man einem Artikel der 'Morgenpost‘ Glauben schenken, wäre die „Werkstattschule für Mode und Gestaltung e.V.“ ein wunderbares Projekt. Sozialhilfeempfänger können sich dort in 18 Monaten für das Schneiderhandwerk qualifizieren - und hätten dann die Chance, in einem Atelier Karriere zu machen. Denn „immer mehr Jungdesigner drängen auf Markt“, wird Geschäftsführerin Sibylle Gallrein zitiert, „und die sind auf Mitarbeiter angewiesen.“

Doch bei der jüngsten Informationsveranstaltung der Werkstattschule war davon kein Sterbenswörtchen mehr zu hören. Teilnehmerinnen des ersten Jahrgangs machten ihrem Unmut Luft: „Ich fühle mich als billige Hilfskraft verschachtert“, beschwerte sich eine Teilnehmerin. Statt der in Aussicht gestellten Umschulung bei der Werkstattschule zur Schneidergesellin wird sie jetzt vom Arbeitsamt für monotone Fabrikarbeit vermittelt, als „Einlagekleberin“ zum Beispiel, für einen Stundenlohn von 10Mark. Ein Flugblatt im Namen der Ex-Teilnehmerinnen brachte es auf den Punkt: „Vielversprechendes Frauenprojekt erwies sich als große Verarschung.“

Die Auseinandersetzung um die Werkstattschule hat Geschichte und sie führt mitten hinein in das Dickicht Berliner Arbeitsmarkt- und Projektpolitik. Die Idee für die Werkstattschule entstand Mitte der achtziger Jahre aus der Kreuzberger Stadtteilarbeit und Nähkursen für Frauen. Und weil der Berliner Senat auf die „Qualifizierungsoffensive“ setzte und Beschäftigungs- und Ausbildungsprojekte aus diversen Töpfen zu fördern begann, konnte Geschäftsführerin Sibylle Gallrein und ihre damalige Partnerin ein Projektkonzeption entwickeln, die sich heute als Flop darstellt. 16 Sozialhilfeempfängerinnen aus dem Bezirk Kreuzberg, allesamt erwachsen und zum Teil mit mehreren Kindern, begannen im Januar letzten Jahres mit einer „Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme“.

Ihre Löhne bezahlte das Sozialamt Kreuzberg, beziehungsweise die Senatverwaltung für Gesundheit und Soziales. Acht weitere Frauen wurden gleichzeitig in der Werkstattschule zur Schneidergesellinen umgeschult. Nun ist es ein offenes Geheimnis, daß die Arbeitsmarktsituation für Schneiderinnen miserabel ist. Das Arbeitsamt hatte auch nur deshalb zugestimmt, weil in der Konzeption der Werkstattschule versprochen worden war, einige der Frauen für ein „Praxisjahr“ einzustellen, um ihre Chancen bei der Jobsuche zu erhöhen. Die Frauen aus der „Beschäftigungsmaßnahme“, so versprach es die Konzeption, sollten im nächsten Durchlauf in den Rang der Umschülerinnen aufsteigen. Clou des Ganzen: aus dem Verkauf der Produkte der Werkschule sollten sich die Arbeitsplätze für das Praxisjahr finanzieren.

Von diesem schönen Drei-Phasen-Modell, das selbstverständlich mit pädagogischen und frauenpolitischen Ansprüchen garniert war, ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Das zuständige ArbeitsamtV weigert sich, eine zweite Umschulungsmaßnahme zu bezahlen. Die „arbeitsmarktpolitische Situation“ erlaube dies nicht, heißt es lapidar. Damit stehen die 16 Frauen, die sich Hoffnungen auf einen Umschulungsplatz machten, erstmal im Regen, beziehungsweise in der Fabrik. „Hätte ich gewußt, was dabei rauskommt, hätte ich nie mitgemacht“, lautet der Tenor der Ex-Teilnehmerinnen. Denn dazu kamen noch betriebsinterne Schwierigkeiten wie Auseinandersetzungen um Pünktlichkeit und Fehlzeiten, die Frauen fühlten sich in ihrer konkreten Situation als alleinerziehende Mütter nicht genügend unterstützt. Im Fall der Teilnehmerin B. eskalierte der Konflikt in ihrer Kündigung. „Heute sehe ich alles viel nüchterner“, sagt auch Sibylle Gallrein.

Enttäuschung allerorten. Denn auch die Umschülerinnen, von denen sieben die Gesellinnenprüfungen in diesem Sommer mitmachten, sind erstmal arbeitslos gemeldet, das anvisierte Praxisjahr hat sich für keine realisiert. Und dies hätte von allen Beteiligten vorausgesehen werden können, denn die Werkstattschule ist ja kein normaler Wirtschaftsbetrieb mit „richtigen“ Arbeitsplätzen. Als zu 100 Prozent vom Senat finanzierter Zweckbetrieb müssen mögliche Gewinne laut Landeshaushaltsordnung wieder an den Staat abgeführt werden. Ein Haken in der Konzeption, für den nach Ansicht Sibylles Gallreins jedoch politische Lösungen möglich sein müßte. Wie im Berliner Subventionsdschungel solche Lösungen aussehen könnten - zum Beispiel im Rahmen einer „Fehlbedarfsfinanzierung“ - darüber wird mit dem Senator für Arbeit eifrig verhandelt. Verhandlungen, die im übrigen auch für andere Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte wie zum Beispiel Stattbau von Interesse sind, die langfristig ebenfalls „richtige“ Arbeitsplätze anbieten wollen.

Trotz der negativen Erfahrungen des ersten Jahrgangs hält man in der Senatsverwaltung an der Förderung der Werkstattschule fest. Daß die Kreuzberger Frauen statt Ausbildungsplätzen Fabrikarbeit geboten bekommen, ist für Reinhold Ossowski, verantwortlich für das Projekt, kein Argument: „In der Textilindustrie arbeiten schließlich viele Menschen und nicht jeder Berufseinstieg ist so, wie ihn man sich wünscht.“ Ansonsten hat der Senatsbeamte, der schon unter dem ehemaligen Wirtschafts- und Arbeitssenator Pieroth die „Qualifizierungsoffensive“ betreute, folgenden Ratschlag für die „Damen“ parat: Sie sollen sich nach einem Ausbildungsplatz, ob in Schneiderhandwerk oder anderswo umsehen. Der Senat könnte dann zusätzlich zur Ausbildungsvergütung eine „Qualifizierungsbeihilfe“ zahlen. Heraus käme dabei ein monatliches Einkommen von rund 1.500 Mark.

Auf eine Diskussion über den Sinn oder Unsinn eines Projekts, das ausgerechnet im Schneiderhandwerk Sozialhilfeempfängerinnen Chancen eröffnen soll, läßt man sich bei der Senatsverwaltung nicht ein. „Die Alternative wäre, nur noch Projekte zu fördern, bei denen es mit tödlicher Sicherheit Anschlußarbeitsplätze gibt“, resümiert Reinhold Ossowski. „Dann müßte ich sagen: Leute werdet Informatiker.“

Relativ sichere Arbeitsplätze bietet die Werkstattschule gegenwärtig nur den Betreiberinnen des Projekts selbst. Auf der Strecke bleiben die Frauen, für die der ganze Zirkus eigentlich veranstaltet wird. Aber die wollen nicht länger mitspielen. In der morgigen Sitzung des Frauenausschusses im Rathaus Schöneberg wollen sie ihre Erfahrungen mit dem Projekt auf den Tisch bringen. Besonders sauer sind sie über die Haltung: „Weil es ein Frauenprojekt ist, muß es schon gut sein.“

Helga Lukoschat

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