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Billige Bahn für Autofans

■ Die "Rollende Raststätte", der günstige Autoreisezug nach Hannover, ist ein voller Erfolg. Verkehrsclub moniert: "Strafe für umweltbewußte Bahnfahrer"

Die Blechlawinen auf der Straße müssen ein Ende haben, der Verkehr gehört auf die Schiene, fordern Umweltverbände schon seit Jahren. Die Deutsche Bahn AG hat diesen Aufruf wörtlich genommen: Bei der „Rollenden Raststätte“ werden die Fahrgäste mit ihren Autos auf der Schiene zwischen Berlin und Hannover transportiert. Nach vier Monaten ist die Bilanz positiv: „Am Wochenende sind die Züge zu 100 Prozent ausgelastet. Die Kunden sind begeistert“, sagt die Bahn- Sprecherin Irene Liebau.

Ganz anders die UmweltschützerInnen: „Das Angebot ist ein schlechter Witz“, kritisiert Burkhard Reinartz vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sich eine ökologische Verkehrspolitik auf die Fahne geschrieben hat. Wer kein Auto hat und trotzdem billig Bahn fahren möchte, guckt nämlich ziemlich dumm aus der Wäsche. Umweltbewußte BahnfahrerInnen werden viel kräftiger zur Kasse gebeten als Auto-Bahn- FahrerInnen, lautet die anhaltende Kritik des VCD: Ein fünfköpfiges Reiseteam zahlt 400 Prozent mehr als eine Bahntruppe mit Automobil.

Im April richtete die Deutsche Bahn AG ihren „Berlin-Shuttle“ zwischen Grunewald und Lehrte bei Hannover zum Superspartarif von 99 Mark ein – einzige Bedingung: Die Reisenden müssen der Deutschen liebstes Kind huckepack mitnehmen. Zweimal täglich pendelt nun ein Intercity mit Autoanhänger zwischen Grunewald und Lehrte. Für fünfzig Autos ist Platz. „Mit der ,Rollenden Raststätte‘ soll die ständig überfüllte A2 zwischen Berlin und Hannover entlastet werden. Die Autofahrer können völlig stau- und streßfrei in einer kalkulierbaren Fahrzeit ihr Ziel erreichen“, preist Irene Liebau das Angebot. Das Zugfahren im klimatisierten Abteil sei bequemer und böte eine „echte ökologische Alternative“.

Eine Hin-und-Rück-Fahrkarte mit Bahncard kostet den Auto- Bahn-Fahrer schlappe 149 Mark, die einfache Fahrt 99 Mark. Ohne Bahncard, aber mit Auto, ist der Reisespaß für 199 bzw. 129 Mark zu haben. Zu diesem Preis werden der motorisierte Untersatz und bis zu fünf Insassen erster Klasse auf Schienen befördert. Wer dann noch flüssig ist, kann sich im Speisewagen mit kulinarischen Köstlichkeiten versorgen lassen.

BahnfahrerInnen ohne Vehikel im Schlepptau dürften beim Brunch im Bahnbistro vergleichsweise pleite sein. Bei der Mitfahrerregelung (einer zahlt den vollen Preis, vier andere den halben) knöpft ihnen die Bundesbahn in der ersten Klasse 589 Mark ab.

Der VCD hält die „Rollende Raststätte“ aufgrund dieser Rechenergebnisse für eine „Realsatire“. „Der Autoverkehr wird hofiert“, kritisiert Burkhard Reinartz. „Die Bahn sollte lieber in ihrer Preispolitik etwas ändern, um Umweltbewußtsein zu unterstützen und nicht solche Mätzchen machen“, fordert Reinartz. Mit fünfzig Autos pro Zug sei keine Entlastung der A2 zu bewirken. Das Preisdumping für die Autofahrer bestrafe die umweltbewußten Bahnfahrer.

„Das ist ein spezielles Angebot für Autofahrer, das noch dazu mit ziemlichen Einschränkungen im Fahrplan verbunden ist“, wehrt Irene Liebau von der Bahn AG den Vergleich ab. Außerdem gebe es keine Verbindung zwischen den Stadtzentren.

Wer als fünfköpfiges Kollektiv ohne Dreckschleuder den „Berlin- Shuttle“ im rotsamtenen Nobelwaggon genießen möchte, aber nicht 589 Mark übrig hat, muß nur dreist genug sein: Fünf VCD- Mitglieder begaben sich zum Sparpreis und nur mit einem Spielzeugauto ausgerüstet auf die Reise. Voraussetzung war lediglich, Typ und Kfz-Kennzeichen beim Fahrkartenkauf eines beliebigen Wagens anzugeben. Kontrolliert wurden die Reisenden nicht.

Es geht allerdings noch billiger: Wer sich zur Abfahrtszeit der „Rollenden Raststätte“ am Verladebahnhof einfindet und sich einer Nicht fünfköpfigen Autobesatzung anschließt, fährt zum Nulltarif. Silke Fokken

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