■ Bonn apart: Billigbude Parlament
Auf dem Bild sitzt ein Mann im Flugzeug. Er reist, aber er erholt sich nicht. Er arbeitet. Er ist über seine Akten gebeugt. Sein Blick ist müde, aber konzentriert. Es scheint, als würde er unablässig reisen und unablässig arbeiten. Unablässig für sein Vaterland. Wie ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Die sind fast immer unterwegs. Sie arbeiten fast immer. Deswegen sind sie auch so schlecht zu erreichen. Wie der Mann auf dem Foto.
Der Mann trägt einen alten, abgetragenen Mantel. Nun gut, das haben Abgeordnete des Deutschen Bundestages selten. Das Vaterland sorgt dafür, daß seine Abgeordneten äußerlich einen guten Eindruck machen. Im Flugzeug und in der 1. Klasse der Deutschen Bundesbahn.
Damit es nicht heißt, das deutsche Parlament sei eine „Billigbude“. Das hatte kürzlich ein Mitglied des deutschen Parlaments behauptet. Es ging um die Aufstockung des Mindestlohnes für Abgeordnete. Denn bei all den Reisen bleibt kaum Zeit, nebenbei Geld zu verdienen. Also muß das Reisen und das Arbeiten wenigstens einigermaßen entlohnt werden. Damit die Abgeordneten des deutschen Bundestages keinen alten Mantel anhaben – auf so einem Foto.
Erst vorgestern wollten drei Bürgerinnen die Zeit von drei Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Anspruch nehmen. Ein Termin war lange vorher abgestimmt. Das Begehren der drei Frauen war natürlich nicht so wichtig wie reisen und arbeiten. Sie hatten lediglich Unterschriften gesammelt. 10.450, um genau zu sein. Etwa soviel, wie Bundestagsabgeordnete im Monat verdienen. Nicht viel also. Das Anliegen war zudem antiquiert. Es ging um den Ausstieg aus der Atomenergie. Trotzdem hatten die Abgeordneten zugestimmt. Nun kamen sie also an, die drei Bürgerinnen. Drei Frauen, drei Generationen. Die eine 24, die zweite 41, die dritte 81. Sie waren auch gereist. Aus Tübingen, Greifswald und Friesland. Allerdings 2. Klasse mit der Bahn. Und bezahlt haben sie selbst. Halt Bürgerinnen. Aber sie waren da. Eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages war auch da. Von Bündnis 90/Die Grünen. Die Abgeordnete des Deutschen Bundestages von der SPD schickte eine Vertretung. Die von der CDU mußte wohl reisen und arbeiten. Wie der alte Mann auf dem Foto, wie Mao also. Nur nicht in so einem alten Mantel. Markus Franz
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