Billigbeflaggung bedroht Schifffahrtsbranche: Seefahrt-Berufe vor dem Aus

Eine Online-Petition verlangt eine radikale Kehrtwende in der Schifffahrtspolitik mit Verbot von Ausflaggungen. Auch die Buxtehuder Reederei NSB flaggt alle Schiffe aus.

Wichtig ist, was hinten dran weht: Wenn es nicht Schwarz-rot-gold ist, drohen miese Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne. Foto: dpa

Hamburg taz | Es ist schon ein Akt der Verzweiflung: Durch die Online-Petition „Rettet die Seeschifffahrt – gegen die Abschaffung der Seefahrtsberufe“ wollen Seeleute und Schifffahrts-Experten die Bundesregierung zu einer radikalen Kehrtwende in der Schifffahrtspolitik bewegen. Kernforderung: Ein Verbot von weiteren Ausflaggungen deutscher Schiffe – ein Akt, der ohnehin gegen die Genfer Seerechtskonvention zur Hohen See der Vereinten Nationen von 1958 verstoße. Die setzt nämlich einen engen Bezug zwischen der Flagge eines Schiffes und dem Sitz der jeweiligen Reederei voraus.

Die bisherige Regierungspolitik, die Reeder durch Subventionen bei der Stange zu halten, um für deutsche Seeleute Sozialstandards festzuschreiben, sei gescheitert. „Der Weg geht weiter bergab“, sagt der Initiator, der auf Seeleute spezialisierte Arbeitsrechts-Anwalt Rolf Geffken.

Geffken erinnert daran, dass die Seeleute-Gewerkschaften Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr und Deutsche Angestellten-Gewerkschaft – heute vereint unter dem Dach der Gewerkschaft Ver.di – 1989 gegen die Einführung eines zweiten deutschen Schiffsregister durch die CDU/FDP-Bundesregierung Sturm gelaufen sind und ein Verbot der Ausflaggungen gefordert haben.

Das sogenannte „Billigflaggenregister“ ermöglicht es deutschen Reedern, ausländische Seeleute zu Niedriglöhnen ihrer jeweiligen Heimatländer zu beschäftigten. Gewerkschaften und die SPD-regierten Bundesländer Bremen und Schleswig-Holstein hatten gegen das Zweitregister vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt – erfolglos. Den Reedern nützte diese höchstrichterliche Entscheidung, den deutschen Seeleuten nicht, denn Schiffe wurden weiterhin in Billigflaggen-Länder wie Panama, Liberia und Antigua ausgeflaggt.

Das Ausflaggen von Schiffen geschieht, um Sozialstandards zu senken und Sicherheitsvorschriften zu umgehen. Das Schiff gehört weiter dem deutschen Reeder und fährt in der Regel dieselben Routen.

Nach der Genfer Seerechtskonvention von 1958 muss es einen echten Bezug zwischen der Flagge eines Schiffes und der Sitz der Reederei geben.

Von den rund 3.300 deutschen Handelsschiffen fahren nur noch knapp 170 unter deutscher Flagge. Schiffe unter deutscher Flagge sind deutsches Hoheitsgebiet, auf ihnen gilt deutsches Recht.

Der aktuelle Anlass für die Petition ist der Beschluss der Buxtehuder Reederei Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft (NSB), ihre letzten 38 Containerschiffe unter deutscher Flagge bis Juni 2017 auszuflaggen und 486 deutsche und europäische Seeleute zu entlassen. „Das war die letzte Reederei, die fast ausschließlich unter deutscher Flagge gefahren ist“, sagt Geffken.

Die NSB, die Schiffe verchartert und sich um das operative Geschäft kümmert, ohne selbst Eigentümer der Schiffe zu sein, macht auch keinen Hehl daraus, dass es um Sozialabbau und Kostendämpfung geht und die Berufe der deutschen Seeleute für sie vor dem Aussterben stehen. „Der maritime Standort Deutschland bietet europäischen und deutschen Seeleuten leider keine Perspektive“, begründet Lutz Weber von der NSB- Geschäftsführung die unternehmerische Entscheidung mit dem internationalen Wettbewerb.

Auf Schiffen unter deutscher Flagge müssen, wenn sie der Tarifgemeinschaft des Verbands deutscher Reeder angehören, Kapitäne, Offiziere, Ingenieure sowie deutsche und europäische Seeleute nach deutschem Tarif bezahlt werden.

Auch die aktuellen Pläne der schwarz-roten Bundesregierung, den Reedern einen hundertprozentigen „Lohnsteuereinbehalt“ zuzugestehen, den Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) als „Lohnsteuerbefreiung der Seeleute“ feierte, werde die Reeder nicht von weiteren Ausflaggungen abhalten, sagt Geffken. „Es sind keine weitere Geschenke an die Reeder gefragt, denn gebracht hat alles Subventionieren, Entgegenkommen und alle Sozialpartnerschaft der vergangenen Jahrzehnte nichts“, so Geffken.

Die Zahl der Seeleute sei von 50.000 auf 5.000 abgebaut worden. Nun stünden noch die letzten See-Arbeitsplätze zur Disposition. Schon jetzt fänden Absolventen von Seefahrtsschulen keine Schiffe mit zumutbaren Arbeitsbedingungen mehr und immer mehr junge Menschen verzichteten angesichts der Perspektivlosigkeit für Seefahrtsberufe auf eine maritime Ausbildung.

„Es sind grundlegende Veränderungen notwendig“, sagt Geffken „Andernfalls wird es auf Dauer keine deutsche Seeschifffahrt mehr geben und den Hafenstädten wird das notwendige seemännische Know-how verloren gehen.“

Die Gefahr, dass die Reedereien bei einem gesetzlichen Verbot von Ausflaggungen nach der Genfer Konvention zur Hohen See ihre Firmensitze ins Ausland verlagern könnten, wie es jetzt die Papenhuder Meyer-Werft getan hat, um Arbeitnehmer-Mitbestimmung in einen zu gründenden Aufsichtsrat zu verhindern, sieht Geffken nicht. In den Billigflaggenländern würden die Reedereien und ihre Landbetriebe nicht die Rahmenbedingungen vorfinden, die sie benötigten, sagt er. „Das macht für die Reeder keinen Sinn.“

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