Aufstieg und Fall eines Reeders: Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund
Niels Stolberg wollte immer mehr sein als der gefeierte Unternehmer: Er richtete Studiengänge ein und gründete Waisenhäuser. Eine Würdigung.
Der Sache nach hat Dambach durchaus Grund zu schreien. Denn Stolberg hat den von Dambach vertretenen Hedgefonds Oaktree gehörig über den Tisch gezogen, als dieser bei Stolbergs Beluga-Reederei einstieg. Das hat Stolberg vor dem Bremer Landgericht zugegeben – und dabei zugleich angedeutet, Oaktree müsste der Betrug aufgefallen sein. Stolberg – Unternehmer des Jahres 2006, „Mutmacher der Nation“, Mäzen und Menschenfreund – am Ende ein Opfer?
Stolberg erzählt, er sei geschockt gewesen vom Auftritt der Hedgefonds-Mannschaft. Er habe den Kopf auf die Unterarme gelegt und gedacht: „Hoffentlich ist das gleich vorbei.“ Die Oaktree-Sicherheitsleute nehmen ihn in die Zange und eskortieren ihn durch die Tiefgarage aus seiner großzügigen Unternehmenszentrale mit Blick auf die Innenstadt. Die Vorwürfe gegen den Bauherrn lauten Bilanzfälschung, Kreditbetrug, Untreue. Die Firma ist weg, es droht ihm Gefängnis.
Die Geschichte des sagenhaften Aufstiegs von Niels Stolberg beginnt Anfang der 1960er-Jahre in Brunsbüttel an der Elbmündung. Seine Mutter habe ihm mitgegeben: „Du sollst nicht nur ein erfolgreicher Mensch sein – du musst auch ein guter Mensch sein”, erzählt er der Oldenburger Nordwestzeitung. Er habe nie nur ein normaler Unternehmer sein wollen, „dem es nur um Profit geht”, sondern ein „sozialer Unternehmer“.
In Brunsbüttel ist die Elbe schon ziemlich salzig. Große Schiffe ziehen vorbei auf dem Weg nach Hamburg oder hinaus aufs Meer. Stolberg lernt Segeln und später auch die große Fahrt: Er erwirbt das große Kapitänspatent und macht seinen Diplom-Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr. Bis 1987 fährt er zur See, dann stellt er fest, „dass die Seefahrt von Land aus viel interessanter ist, weil die Entscheidungen an Land fallen“, wie er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte. Für eine Bremer Reederei baut er eine Abteilung auf, deren Aufgabe es ist, das passende Schiff zur Ladung zu finden.
Mit dem Know-how macht er sich 1995 selbstständig und gründet die Beluga Shipping, aus der später seine Beluga Group werden wird. Den Namen wählt er, weil ihm das soziale Verhalten der Killerwale gefällt. Stolberg spezialisiert sich auf den Transport von Projektladungen und Schwergut: Transformatoren und Turbinen, aber auch Panzer und Haubitzen – eben alles, was nicht in Container passt. Denn um die prügeln sich schon andere.
Beluga profitiert von der guten Schifffahrtskonjunktur der 90er und der Nullerjahre. 2006, nach gut zehn Jahren, fahren 28 Frachter im Auftrag von Beluga, 2011 sind es 72, von denen 22 Beluga gehören und der Rest dauerhaft gechartert ist. Beluga gründet Niederlassungen in Peking, Houston und Schanghai und nennt sich „Marktführer“. Im letzten Vorkrisenjahr 2008 macht die Gruppe 418 Millionen Euro Umsatz und einen operativen Gewinn von 68 Millionen Euro.
Mit dem vielen Geld kauft Stolberg nicht nur Schiffe, sondern er investiert es in allerlei Projekte: Er ist die treibende Kraft hinter dem Maritimen Campus Elsfleth, dem Ort in der Wesermarsch, wo er selbst seine nautische Ausbildung genossen hat. Heute werden hier Schiffsmechaniker und Belader ausgebildet; im Schwimmbecken lernt das Personal von Offshore-Windparks Rettungsinseln zu benutzen; und was an der Fachhochschule erforscht wird, kann von den ansässigen Unternehmen gleich in die Praxis umgesetzt werden.
Stolberg gründet eine gymnasiale Oberstufe mit maritimer Ausrichtung, er sponsert das Bremer Museum Weserburg, aber auch die Bundesliga-Handballerinnen des VfL Oldenburg. Nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien gründet er 2005 in Thailand die Beluga School for Life, wo 150 Waisen ein Zuhause und eine Ausbildung fanden.
Geschäftlich zeigt sich Stolberg als für die konservative Branche ungewöhnlich kreativ. Anfang 2006 unterzeichnet er in Hamburg einen Vertrag mit Stephan Wrage von der Firma Sky Sails. Als erster Reeder lässt Stolberg ein Schiff mit einem Lenkdrachen über die Meere ziehen. Damals ist der Treibstoff teuer. Der Drachen verspricht, zehn bis 20 Prozent der Kosten zu sparen und die Schadstoff-Emissionen zu drücken. „Ich muss in der heutigen Zeit andere Wege gehen“, sagt Stolberg der taz.
Das meinte er durchaus wörtlich: Als zweiter westlicher Reeder überhaupt lässt Stolberg seine Schiffe die Nordostpassage befahren. Der Klimawandel hatte den Seeweg an Russland vorbei nach China im Sommer eisfrei gemacht.
„Entspannung“ findet Stolberg auf der Insel Spiekeroog. Er kauft ein gutes Dutzend Häuser, eröffnet einen Buchladen, baut ein Hotel und ein Künstlerhaus. Dort gibt es Ausstellungen, etwa des von ihm geschätzten Malers Emil Nolde, Kurse, Konzerte und Podiumsdiskussionen mit Prominenten wie Ulrich Wickert und Christine Westermann.
Stolberg polarisierte die Insel. „Früher hat es keinen Geburtstag gegeben, bei dem Stolberg nicht Thema gewesen wäre“, erzählt Hartmut Brings vom Inselboten. Bei seinen Projekten habe Geld keine Rolle gespielt. Er habe einen Obst- und Gemüsestand eröffnet, obwohl es schon zwei Läden gab, und beim Dorffest die Musik einfach eine Stunde länger laufen lassen. „Sowas war ihm egal“, sagt Brings.
2008 steht Stolberg auf dem Gipfel. Die Firma erwirtschaftet so viel wie nie zuvor. Im Februar darf er als „Zweiter Schaffer“ die 464. Bremer Schaffermahlzeit mit ausrichten, ein Festessen mit dem damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan als Ehrengast. Stolberg ist gesellschaftlich angekommen. Doch am Horizont zeigen sich die ersten Gewitterwolken.
Am 15. September geht die US-Bank Lehmann Brothers pleite. Das löst eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise aus, die auch die Schifffahrt, insbesondere den Containerverkehr, einbrechen ließ. Stolberg erklärt sich für nicht betroffen, weil er ja einen Nischenmarkt bediene. Doch hat er wie die anderen Reeder auch mit Blick auf ein vermeintlich immer währendes Wachstum reichlich neue Schiffe in Auftrag gegeben.
Dann bricht der Gewinn ein. Er frisiert die Bilanz des Jahres 2009, um Oaktree zu einem Engagement zu bewegen. Stolberg braucht frisches Geld und verkauft im Sommer 2010 gut 37 Prozent seiner Anteile an den Finanzinvestor. „Ich habe den Teufel gerufen und der hat gezeigt, wie ein Teufel in der Umsetzung funktioniert“, sagt er zwei Jahre später, als er mit Reportern von Radio Bremen noch einmal die Dachterrasse seiner ehemaligen Firmenzentrale betritt.
Die Pleite spült allerlei Skandalgeschichten frei: Im Krisenjahr 2009 buchte Stolberg 500.000 Euro an Spendengeldern vom Konto der Beluga School for Life auf seine Reederei um. Stolberg soll mit dem BND zusammengearbeitet haben, was er gegenüber Radio Bremen mit einer gewissen Eitelkeit nicht dementiert. Unklar ist ob, Stolberg von den Waffentransporten auf einem Beluga-Schiff nach Afrika wusste.
Seit ein paar Jahren nun bereitet er sich auf den Prozess vor. „Ich bereue alle Fehler, die ich gemacht habe“, sagt er 2013 der Bild. Für 1.800 Euro im Monat arbeite als er als Geschäftsführer und Berater – mittlerweile von zu Hause in Oldenburg aus. Das große Rad wolle er nicht mehr drehen, sagt er der Nordwestzeitung. Aber er hätte gern eine zweite Chance.
Den ganzen taz.nord-Schwerpunkt zum Thema „Der Fall Stolberg“ lesen Sie in der taz.am Wochenende oder hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett