Bildungssstreiks in Chile: Präsident kriminalisiert Protest

Keine Annäherung im chilenischen Bildungsstreit: Erneut protestieren Hunderttausende, die Regierung droht mit einem Gesetz aus der Pinochet-Diktatur.

Schildwutbürger: Ausschreitungen in Santiago am Mittwoch. Bild: reuters

PORTO ALEGRE taz | Camila Vallejo brachte die Lage auf den Punkt: "Unser Kampf ist nicht einfach", sagte die Studentensprecherin der staatlichen Universidad de Chile am Mittwoch auf der Abschlusskundgebung eines 48-Stunden-Protests, "die Regierung hat uns die Tür verschlossen, sie ist unfähig, den historischen Augenblick zu nutzen, um strukturelle Veränderungen im Bildungssystem umzusetzen".

Stunden vorher waren Vallejo und weitere Sprecher von einem Kurztrip aus Europa zurückgekommen, pünktlich zum Ende eines erneuten "Generalstreiks", an dem sich wieder Hunderttausende im ganzen Land beteiligten. "Wir haben gezeigt, dass die Bewegung obenauf bleibt", lautet das Fazit des obersten Lehrergewerkschafters Jaime Gajardo.

Giorgio Jackson von der Katholischen Universität forderte erneut eine Steuerreform zur Finanzierung eines guten, kostenlosen und öffentlichen Bildungssystems, für das SchülerInnen, Studierende, LehrerInnen und viele mehr seit Mai auf die Straße gehen. Allein im Großraum Santiago hätten 108 Demonstrationen stattgefunden, erklärte Gouverneurin Ceclina Pérez. Dabei gab es 1.713 Festnahmen, davon 373 am Dienstag und Mittwoch.

Der Elternverein der Hauptstadtregion protestierte bei der Regierung gegen das oft brutale Vorgehen der Polizei. "Wir haben regelrechte Folterbilder aus mehreren besetzten Schulen gezeigt", berichtete Elternsprecher Eduardo Catalán. Doch die Regierung des rechtsliberalen Präsidenten Sebastián Piñera gibt sich konzessionsloser denn je.

Nachdem am Dienstag Randalierer einen Bus verbrannt hatten, drohte der Innenminister mit dem Staatssicherheitsgesetz aus der Zeit der Pinochet-Diktatur (1973-90). "Juristisch hat das wenig zu bedeuten", sagte der Rechtsprofessor Claudio Nash von der Universidad de Chile, "doch politisch ist es eine starke Botschaft, ein Versuch, den sozialen Protest zu kriminalisieren".

91 Prozent für strukturelle Reformen

Ruppig ging die Polizei auch gegen die Gewerkschaftschefs vor, die im Präsidentenpalast das Ergebnis der von der Bewegung organisierten Volksbefragung überreichen wollten – 1,5 Millionen hatte sich beteiligt, 91 Prozent votierten für strukturelle Reformen.

Davon aber will Piñera nichts wissen. Immerhin denke er nun darüber nach, künftig bis zu 60 Prozent aller Studierenden Stipendien zu gewähren, berichtete die regierungsnahe Tageszeitung La Tercera. Damit greift der Präsident eine Forderung von Parlamentariern aus dem eigenen Lager auf, doch das ist den Protestierenden zu wenig.

Noch in Frankreich hatte Camila Vallejo die Bildungsproteste zu erklären versucht: "Unser Ausgangspunkt waren nicht die 'Empörten' in Spanien. Unsere Bewegung ist nicht spontan, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses und einer gründlichen Analyse der ungerechten Lage in Chile".

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