Bildungssenatorin Goetsch: "Leistungsstarke nicht langweilen"

Hamburg bleibt dabei: Die sechsjährige Grundschule kommt, sagt die künftige Bildungssenatorin Goetsch. Und plädiert für gezielte Förderung und gegen Frontalunterricht.

taz: Frau Goetsch, laut dem Bildungsforscher Lehmann ist die sechsjährige Grundschule ein Flop. In Hamburg haben Grüne und CDU diese Schule beschlossen. Machen Sie einen Fehler?

Christa Goetsch: Herr Lehmann hat hier offenbar eine etwas voreilige Interpretation in die Welt gesetzt, die von seiner Studie so nicht gedeckt wird.

Aber leistungsstarke Schüler lernen laut der Studie mehr, wenn sie nach der vierten Klasse aufs Gymnasium wechseln. Wollen Sie das bestreiten?

Es handelte sich um eine ausgelesene Gruppe extrem starker Schüler, die dort aufs Gymnasium wechselte. Wir machen das aber anders. Die sechsjährige Grundschule in Hamburg, die wir Primarschule nennen, wird keine Kopie des Berliner Modells sein. Wir wollen zum Beispiel auch Lehrerinnen und Lehrer der Gymnasien in den vierten, fünften und sechsten Klassen der Primarschulen einsetzen.

Berliner Eltern sorgen dafür, dass ihre Kinder nach der vierten aufs Gymnasium wechseln. Wie wollen Sie in Hamburg solche Fluchtmöglichkeiten verhindern?

Ganz einfach. Es wird in Hamburg keine grundständigen Gymnasien geben. Ein Fliehen nach der vierten Klasse wird nicht möglich sein.

Dann müssen Sie in Grundschulen sowohl die Schwachen als auch die Starken fördern. Wie wollen Sie das schaffen?

Durch konsequentes Individualisieren des Unterrichts. Alle Kinder sollen Aufgaben erhalten, die ihren jeweiligen Fähigkeiten entsprechen. Natürlich müssen auch die Leistungsstarken gefördert werden. Sie dürfen sich auf keinen Fall langweilen.

Wie sieht das konkret aus?

Weg mit dem Frontalunterricht an der Tafel, hin zu einem Arbeiten mit Angeboten für alle Kompetenzniveaus.

Klingt toll. Aber dafür braucht man Lehrer, die individuelles Lehren beherrschen.

Schulentwicklung funktioniert natürlich nicht, indem Sie einen Hebel umlegen. Deshalb haben wir einen langen Vorlauf bis 2010 eingeplant. Wir wollen mit einer großen Fortbildungsoffensive die Lehrer auf den Umgang mit Heterogenität unter den Schülern vorbereiten und in Methodenkompetenz schulen.

Ihr Primarschulmodell ist kompliziert. Es wird zum Beispiel Grundschulen geben, die spätestens ab der vierten Klasse an den weiterführenden Schulen stattfinden. Viele Eltern werden versuchen, ihre Kinder dort unterzubringen, wo Grundschulen an Gymnasien angegliedert sind.

Die sechsjährige Primarschule an einem Standort ist die Regel. Wo das aus räumlichen Gründen nicht geht, werden die Kinder zwar im Gebäude einer anderen Schule unterrichtet, bleiben aber Schüler der Primarschule.

Und wie wollen Sie verhindern, dass Eltern ihre Kinder vor allem an Grundschulen schicken, die an die Topgymnasien angekoppelt sind?

Die weiterführenden Schulen können sich ihre Schüler ja nicht aussuchen. Wir wollen doch nicht in die Kaiserzeit zurückfallen. Nach Klasse sechs entscheidet die Primarschule in Beratung mit den Eltern, ob der Weg aufs Gymnasium oder in Richtung Stadtteilschule geht.

Der Umbau der Schulen ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Wie lange wird die CDU bei der Stange bleiben, falls sich die gewünschten Ergebnisse nicht schnell zeigen?

Es geht nicht um Geschwindigkeit, sondern um Sorgfalt. Die CDU und die Grünen haben entschieden, einen Weg zu gehen, der nicht nur einen Kompromiss zwischen zwei Modellen darstellt. Wir beginnen eine Schulentwicklung, die europäischen Standards entspricht. Es müsste doch inzwischen allen klar sein, dass eine Aufteilung der Schüler mit zehn Jahren zu früh ist.

Das ursprüngliche Konzept der Grünen hieß "Neun macht klug" und sah ein gemeinsames Lernen bis zur neunten Klasse vor. Sie sind weit hinter ihrem Ziel zurück geblieben.

Man kann auch sagen, wir sind ihm ein gutes Stück näher gekommen. Umfassende Bildungsreformen sind eben nicht in einer Legislatur umzusetzen.

Es bleibt auf lange Sicht beim Ziel "eine Schule für alle"?

Natürlich bleibt es dabei. Wir fusionieren ja nicht mit der CDU.

INTERVIEW: WOLF SCHMIDT

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