Bildungspolitik an Berliner Schulen: "Dafür bin ich nicht zuständig"
In Tempelhof wird eine Schule dichtgemacht, die mehr Anmeldungen als Plätze hat. Und Kreuzbergs Lokalparlament beschließt: Private Schulen dürfen nicht in öffentliche Gebäude einziehen.
"An alle Bestimmer über Kinder: Ich möchte unbedingt an meiner Schule bleiben. Denn sie hat so viele Sportgeräte." Svenja, 4 c, Grundschule im Taunusviertel
Samstagmittag vor dem Roten Rathaus in Berlin. Zwei Polizisten bewachen den Amtssitz von Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), aber diese Demo kann ihnen nicht gefährlich werden. Die Radler und Läufer der Taunusgrundschule sind viel zu weit weg. Sie sammeln sich ein paar Meter neben einer Schau-Rettungsstelle der Malteser. Für die rund 200 Eltern, Lehrer und Schüler ist ihre Demonstration allerdings keine Schau. Sie meinen es bitterernst. "Die Taunus bleibt" steht auf den T-Shirts. "Die Schule steht in ihrer vollen Blüte - so eine Schule darf man nicht kaputt machen!" So ruft Mathis Wosegien, ein kämpferischer Vater, von der Bühne.
Eltern sind manchmal unsichere Kantonisten, wenn es um Schule geht. Aber wenn eine Schule geschlossen wird, reagieren sie gereizt. Mit Kopfschütteln und Wut quittieren sie, was Berlins Kultusbehörden ihrer Schule antun wollen: Eine erst vor zehn Jahren errichtete Grundschule wollen sie schließen. Ab sofort dürfen keine neuen Abc-Schützen mehr rein. Das geschieht, obwohl diese Schule mehr Anmeldungen als Plätze hat und obwohl so ziemlich alle, die mit ihr zu tun haben, sagen: Hier passt alles - Konzept, Nachfrage, gute Lehrer, engagierte Eltern. "Ich weigere mich, eine Schule zu schließen, in der alles stimmt", meint die Vorsitzende von Tempelhofs Schulausschuss, die Grüne Martina Rade.
Berlin mag Hauptstadt sein, aber es ist gewiss nicht die Kapitale der guten Schulen. Hier ist nicht ganz zufällig die Rütli-Schule kollabiert. Die Hauptschulen der Stadt sind zu drei Vierteln mit 15-Jährigen bevölkert, die kaum lesen können. Gerade hat eine Studie gezeigt, dass selbst die viel gerühmten grundständigen Gymnasien, in die das Bildungsbürgertum seine Kinder entsendet, mediokre Anstalten sind. Es muss also darum gehen, die Berliner Schulen zu verbessern - und jede gute Schule am Leben zu erhalten. Jede?
Der Bezirksstadtrat für Bildung ist genervt. "Es macht keinen Spaß, Schulen zu schließen", sagt Dieter Hapel (CDU), "aber manchmal ist es unvermeidlich." Und dann listet Hapel jene Daten auf, die nicht nur in Lichtenrade gelten, sondern bald überall in der Republik - sinkende Schülerzahlen. "Wir müssen darauf reagieren", sagt er, "es ist unvermeidlich, eine Schule zu schließen."
115 Schulanfänger habe man weniger als im vergangenen Jahr, sagt Hapel. "Damals waren es 3.055, jetzt sind es nur noch 2.940 Grundschüler." Grundschüler oder Schulanfänger, lautet die Rückfrage, man müsse es schon genau wissen. "Das ist doch dasselbe", blafft der Schulstadtrat zurück. Kein Wunder, dass er nervös ist. Denn in der Grundschule im Taunusviertel gehen die Schülerzahlen überhaupt nicht zurück - warum auch?
Wer sich diese Schule anschaut, der reibt sich die Augen. Der Bau aus Glas und Beton im Taunus-Eigenheimviertel ist gewiss kein Kleinod, aber eine Schule in erstklassigem Zustand. In vielen Schulen Berlins sind die Schulwände, die Treppen, die Aufgänge nicht selten voller chaotischer Graffiti. Ganz anders in der Taunusgrundschule. Sie besitzt ein imposantes Atrium, das an die feinen Lobbydependancen in Mitte erinnert. Einen zweistelligen Millionenbetrag hat man 1999 für den Neubau hingeblättert. Und auch ein gewisser Klaus Wowereit gehörte Mitte der Neunziger zu jenen, die den Neubau mit befürworteten.
Aber keine Sorge, der geborene Lichtenrader und langjährige Tempelhofer Schulstadtrat wird sich in die Causa Taunusgrundschule nicht einmischen. Dafür ist Wowereit ein viel zu cleverer Bestimmer, wie ihn die kleine Svenja nennen würde. Dabei liegt Svenja ganz richtig: Die Taunusschule ist eine Sache "aller Bestimmer über Kinder". Das könnte das Problem für die Bürger sein. Denn es gibt viele Bestimmer - und die garantieren wechselweise Hoffnung und Aussichtslosigkeit.
Der grüne Bezirkspolitiker Jörn Oltmann ist mitgerannt von Lichtenrade zum Roten Rathaus, was einen kleinen Marathon bedeutet. "Dieter Hapel kuscht vor dem Senat", erklärt Oltmann von der Bühne, "er müsste an unserer Seite stehen und das Konzept ,Kurze Beine, kurze Wege' vertreten." Recht hat Oltmann. Hapel wiederum sagt: "Wir haben 12 unterfrequente Klassen beim Senat beantragt, aber das wurde abgelehnt." Und auch Dieter Hapel hat recht. Der Senat gönnt seinen Bezirken wegen einer unerbittlichen Kosten-und-Leistungs-Rechnung keine Klasse, in der weniger als 24 Grundschüler sitzen. Und auch Jürgen Zöllner (SPD), der Bildungssenator der Stadt, hat recht, wenn er sagt: "Wer eine gute Schule schließt, muss mit dem Klammerbeutel gepudert sein." Alle Schulbestimmer haben irgendwie recht - geschlossen wird die Schule im Taunusviertel dennoch. Vielleicht wird sie genau deswegen geschlossen. Denn Bestimmer oder Schulpolitiker ist in Wahrheit nur ein anderes Wort für: nicht zuständig.
"Wissen Sie", sagt der CDU-Mann Dieter Hapel, wenn man ihn nach der "demografischen Rendite" fragt, welche zwei Bundesministerinnen der CDU tagtäglich einfordern (also die Mittel aus dem Rückgang der Schülerzahlen unbedingt wieder in Schulen zu investieren), "wissen Sie", sagt Hapel dann, "dafür bin ich nicht zuständig."
"Das werden Sie jetzt nicht gerne hören", sagt Monika Herrmann, ihres Zeichens Stadträtin der Grünen für Bildung im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain, "aber dafür bin ich nicht zuständig." Die Rede in Frau Herrmanns Büro war gerade darauf gekommen, dass die Grünen die Gründung von Privatschulen befürworten. "Ich habe vom Grundsatz her auch nichts dagegen", sagt Herrmann, "wir haben gute Erfahrungen mit freien Trägern bei Kitas und in der Jugendhilfe gemacht. Aber ich kann gegen den Beschluss des Bezirksparlaments nichts machen."
In Kreuzberg geht es nicht um die Schließung, sondern um das Verhindern einer Schule. Im Jahr 2004 lief die staatliche Rosegger-Grundschule im Chamisso-Kiez aus. Nun, wenige Jahre später, steigen die Schülerzahlen zwar nur leicht an, aber die Zahl der Bewerber um das Gebäude der Rosegger-Schule geht sprunghaft in die Höhe. Vier private Träger haben ein Konzept vorgelegt, um eine Schule zu errichten. Dazu zählen eine evangelische Initiative örtlicher Bürger, ein türkischer Anbieter, eine Kreativschule und eine Ganztagsschule. Sie alle haben, auf Bitten der Bezirksstadträtin Herrmann, ihr Interesse für das öffentliche Schulgebäude bekundet. Sämtliche Konzepte lassen mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass die Träger eine gute Schule errichten wollen.
Lex Antiprivatschule
Aber dann ist in Kreuzberg etwas passiert. Erst beschloss der Bezirkselternausschuss kategorisch, dass es eine Privatschule nicht geben dürfe. Dann forderten die Bezirksverordneten vom Bezirksamt, "erste Schlussfolgerungen" aus der Interessenbekundung zu ziehen. Der Beschlusstext ist verquast und völlig unverständlich. Er will nicht etwa erreichen, dass eine der Schulen schnell die Erlaubnis zum Start erhält, sondern genau das Gegenteil: Die Erlaubnis soll verweigert werden. Das Bezirksamt habe sicherzustellen, heißt es darin, dass keinerlei "Vorentscheidungen mit rechtlich verbindlichem Charakter getroffen werden".
Die größte Kreuzberger Fraktion sind die Grünen. Den Beschluss beantragten SPD und Linke. Er sieht vor, öffentliche Schulgebäude keinesfalls an private Schulträger zu vergeben. Es ist eine Lex Privatschule, Pardon: Antiprivatschule.
Der SPD-Bezirksparlamentarier Andy Hehmke wiegelt ab. Es gehe gar nicht um die Rosegger-Schule, sondern ums Prinzip, sagt der Fraktionschef der SPD in Kreuzberg. "Wir schließen als Bezirk eine Schule - und eine private Schule geht rein. Wenn dieser Automatismus so weitergeht, dann haben wir bald die Hälfte der Schulen in privater Hand." Nun, ganz so weit ist es noch nicht. Von den 35 Kreuzberger Schulen sind bislang vier privat: eine islamische Grundschule, eine Waldorfschule, eine Sonderschule und eine Freie Demokratische Schule. Der Rest ist staatlich - und teils in einem höchst bedauerlichen Zustand. Hehmkes Parteifreund Klaus Wowereit hat einmal gesagt, er würde seine Kinder nicht in Kreuzberg in die Schule schicken.
Die Angst vor privaten Schulen in Kreuzberg, auch so viel ist klar, ist nicht ganz unbegründet. Zwar sagt Angelika Klein-Beber, die Initiatorin der evangelischen Schule, "wir sind keine private Schule, sondern ein Freier Träger." Die Gebühren der Schule seien maßvoll, maximal 150 Euro. Und natürlich stünde sie auch für Migranten offen - wie etwa in Neuköllns evangelischer Schule, wo ein Drittel Muslime seien. Aber die Vorsitzende des Fördervereins macht auch klar, wem die zu gründende Schule eine Heimat geben soll: den bürgerlichen Kreuzbergern, die nicht aus dem Kiez wegziehen wollen - und die zugleich ihre Kinder nicht in die vorhandenen staatlichen Schulen geben wollen, die zwischen 70 bis 99 Prozent Zuwandererkinder haben. "Dort gehen hoffnungslose Generationen in die Schule", sagt Klein-Beber, "wenn ich mir anschaue, wer da alles ohne Abschluss herauskommt!" Nicht nur sie fordert daher, dass keine Schule mehr als ein Drittel Zuwandererkinder haben dürfe.
Wieso macht man eigentlich nicht das in Kreuzberg, was etwa in Harlems Childrens Zone veranstaltet wird: ein Areal, wo alle Mittel auf eine bessere Schule und bessere Schulumgebung konzentriert werden. Ein 50-Millionen-Dollar-Projekt für 8.000 Schüler. Wieso lässt Kreuzberg also nicht eine private Schule eine Initiative übernehmen - und stärkt gleichzeitig die umliegenden staatlichen Schulen? Da kommen wieder die Bestimmer ins Spiel, die die kleine Svenja so gern hat.
Zum Beispiel ein Mitarbeiter aus dem Schulamt. "Inwieweit hat der öffentliche Sektor überhaupt die Möglichkeit, seine Schule so gut zu machen?", fragt der Schulrat besorgt. "Wie wollen sie denn eine staatliche Schule verbessern, wenn kein deutsches Kind mehr dorthin geht? Das sind so Fragen, die sind schwierig." Wenn man den Fraktionschef der örtlichen SPD, Hehmke, fragt, wieso er nicht den Big Bang für Kreuzbergs staatliche Schulen startet, winkt er müde ab: "Das liegt nicht in unserer bezirklichen Zuständigkeit, wir kümmern uns nur um die Hausmeister, die Gebäude und die Schulplanung."
Wie geht es weiter? Die Eltern der Schule im Taunusviertel wollen einstweilige Verfügung gegen die Schließung der Schule erwirken, sagt Mathis Wosegien.
Angelika Klein-Beber aus Kreuzberg seufzt: "Man hat uns schon oft hinter die Fichte geführt. Wir warten erst mal ab."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten