piwik no script img

BildungMasterplan für Lehreranwärter

Die ersten Studierenden des Lehramts-Masters bereiten sich auf den Schuldienst vor. Doch die Klagen über das reformierte Studium reißen nicht ab

der Bachelor bereitet die Studenten kaum auf das Unterrichten vor. Bild: DPA

Ina Heinrich steht vor einer Schüssel voll Wasser, in der ein Korken und ein Stück Alufolie schwimmen. Fast dreißig Augenpaare schauen zu, wie sie versucht, die beiden Materialien im Wasser zu verschieben. Doch der Korken treibt immer wieder zum Rand, das Alu in die Mitte der Schüssel. "Das liegt an der Oberflächenspannung", erklärt die angehende Lehrerin, und einige Siebtklässler nicken verständig. Ein Semester lang hat Heinrich diese Unterrichtsreihe minutiös vorbereitet. Nun steht sie endlich nicht mehr im Hörsaal, sondern im Klassenzimmer.

Die 25-jährige Berlinerin gehört zu den ersten Studierenden des Masters of Education (MEd). Der ist mit der Umstellung des Lehramtsstudiums auf das Bachelor-Master-System eingeführt worden, das internationale Vergleichbarkeit ermöglichen soll. Derzeit sind in Berlin knapp 3.300 Hochschüler für den Bachelor mit Lehramtsoption eingeschrieben; 265 angehende Lehrer studieren den darauf aufbauenden Master. In den neuen Studiengängen lernen sie deutlich mehr Pädagogik und Didaktik als vorher. Allerdings erst im Master - der Bachelor bereitet die Studenten kaum auf das Unterrichten vor.

Das stört auch Ina Heinrich: Nur ein knappes Fünftel ihres Stundenplans galt den Berufswissenschaften, der Rest entfiel auf die Fachwissenschaften, in ihrem Fall Chemie und Latein. "Ich hätte schon gern früher gesehen, ob ich das, was ich an der Uni lerne, auch im Unterricht umsetzen kann." Das bestätigt auch Jürgen van Buer, Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission für Lehramtsstudien an der Humboldt-Uni: "Viele Studierende wünschen sich schon im Bachelor mehr Didaktik."

Die Kultusministerkonferenz (KMK) ist jedoch der Auffassung, dass der Bachelor mit Lehramtsoption nicht zwangsläufig in den Lehrerberuf münden, sondern den Studierenden das Türchen zu einem anderen Master offen lassen soll. Ganz so einfach ist das allerdings nicht: Wer einen Bachelor mit Lehramtsoption absolviert hat und keinen MEd machen möchte, muss ein paar zusätzliche Kurse belegen, um einen Master of Arts oder Science anzuhängen. Das heißt, dass man sich noch vor Abschluss des Bachelors entscheiden muss, wenn man doch kein Lehrer werden will. Wenn es aber zu spät ist? "Da wird es eine Lösung geben", verspricht van Buer. Notfalls müssten die fehlenden Kurse "nachstudiert" werden.

Aber auch die Studierenden, die Lehrer werden wollen, kommen nicht so einfach zu ihrem Master: An der Humboldt-Universität sind beispielsweise pro Semester 550 Plätze für Bachelor mit Lehramtsoption vorgesehen, aber nur 350 für MEds. "Es kann sehr wohl sein, dass in Zukunft nur jeder zweite Bachelor mit Lehramtsoption einen Platz für den Master of Education bekommt", mutmaßt van Buer.

Dieses Mal haben alle Bachelor mit Lehramtsoption ihren Masterplatz bekommen. Das liegt aber nur daran, dass nicht alle, die 2004 den neuen Bachelor-Studiengang aufgenommen haben, ihn in den vorgesehenen sechs Semestern geschafft haben. Ina Heinrich war im Vorteil, weil sie vorher schon zwei Jahre lang Chemie studiert hatte. "Mir wurden zum Glück Kurse aus meinem vorherigen Studium angerechnet", erklärt sie. "Dadurch habe ich es relativ leicht geschafft. Andere sind da schon ins Schleudern gekommen."

Und der Lehramts-Master hat noch einen ganz großen Haken, sagt Michael Martin von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): die Unterscheidung zwischen Kleinem und Großem Master. Während nämlich die angehenden Gymnasiallehrer im Großen Master vier Semester lang studieren, sind für das Grund-, Sonder-, Haupt- oder Realschullehramt bloß zwei Semester vorgesehen. "Das ist nicht gerechtfertigt", findet Martin. "Wieso sollten Hauptschullehrer weniger ausgebildet werden als Studienräte?" Im Prinzip ist sich der GEW-Mann mit KMK, Senat und Unis einig: Da der Kleine Master sowieso zu kurz ist, um international vergleichbar zu sein, muss er erweitert werden. Noch ist allerdings offen, wie das geschehen soll - und wann. Die Senatsverwaltung für Bildung gibt sich dazu bedeckt, in den Universitäten wird noch diskutiert.

Manche Fachbereiche leiden besonders unter der Kürze des Kleinen Masters, in dem fast keine Fachwissenschaften mehr gelehrt werden: "Die Mathematiker beschweren sich. Sie wollen die Leute nicht mit einem Kleinen Master in die Schule schicken", berichtet van Buer. Tatsächlich würden Untersuchungen zeigen, dass sich Mathematiklehrer der Sekundarstufe I in ihrem Fach nicht immer gut genug auskennen. Die angehenden Sonderpädagogen der HU haben gegen den Kleinen Master in ihrem Fach protestiert: Sie haben Briefe an den Senat geschrieben, sind im Abgeordnetenhaus gewesen und haben ein Kinderfest veranstaltet. Mit Erfolg: Übergangsweise wurde ihnen ein drittes Semester bewilligt.

Vielleicht ziehen die anderen Fachbereiche bald nach: Martin ist zuversichtlich, dass der Kleine Master in absehbarer Zeit durch den Großen ersetzt wird - so wie im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen. Van Buer vermutet hingegen, dass einfach ein Praxisjahr hinzugefügt werden könnte, das die Studierenden an den Schulen ableisten. Damit würde allerdings, sagt etwa die GEW, im Grunde nur das Referendariat vorverlegt - an der Länge der Ausbildung würde sich nichts ändern. Denn die Absolventen des Kleinen Masters wären ja sowieso zum Vorbereitungsdienst an die Schulen gegangen. Die GEW nennt diese Idee darum auch eine "Mogelpackung".

Ina Heinrich wird es mit ihrem Großen Master nicht schwer haben, eine Stelle zu finden. Viele ihrer künftigen Kollegen verabschieden sich bald in die Rente - bis 2011/12 rechnet die Senatsbildungsverwaltung mit rund notwendigen 3.000 Neueinstellungen. Drei Praktika und viele Didaktikstunden werden Heinrich bis dahin auf den Klassenraum vorbereitet haben. "Ich habe schon noch ein bisschen Bammel vor dem Referendariat", gesteht die Studentin. "Das sind so viele Stunden. Die Unterrichtsreihe, die ich hier im Praktikum mache, habe ich ja lange an der Uni vorbereitet." Den Schülern gefällts jedenfalls. Wer hätte gedacht, dass man mithilfe eines Korkens so etwas Kompliziertes wie Oberflächenspannung verstehen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!