Bildung: Gemeinschaftsschule begeistert nur wenige
Das Interesse am Projekt Gemeinschaftsschule ist in der zweiten Bewerbungsphase gering: Nur sechs neue Schulen wollen bislang dazukommen, zwei weitere zögern
So richtig warm werden die BerlinerInnen mit der neuen Gemeinschaftsschule noch nicht. Elf Schulen hatten sich vergangenes Jahr darum beworben, in das Modellprojekt des Senats aufgenommen zu werden. Im zweiten Bewerbungslauf, der nun zu Ende geht, sind es bisher erst sechs. Da zwei weitere Schulen noch Bedenkzeit benötigen, hat die Bildungsverwaltung die Bewerbungsfrist um zwei Wochen bis Mitte November verlängert.
Das Modellprojekt hatte die Linkspartei der SPD in den Koalitionsverhandlungen 2006 abgerungen. In Gemeinschaftsschulen sollen - wie bisher nur in der Grundschule - Jugendliche aller Lernniveaus mindestens bis zur 10. Klasse zusammen unterrichtet werden. Anders als in Gesamtschulen werden sie nicht in Kurse aufgeteilt.
Die sechs neuen Bewerber für das Projekt kommen aus Marzahn, Treptow, Charlottenburg und Friedrichshain-Kreuzberg. Dort will sowohl die Friedrichshainer Emanuel-Lasker-Realschule wie auch die Kreuzberger Lina-Morgenstern-Gesamtschule die Reform wagen. In Marzahn planen die Bruno-Bettelheim-Grundschule und die Thüringen-Gesamtschule den Zusammenschluss, in Treptow will die Grünauer Grundschule zur Gemeinschaftsschule aufwachsen.
In Charlottenburg wird ein kompletter Neubeginn gewagt: Angestoßen durch Eltern, die auf der Suche nach einer Fortführung ihrer Montessori-orientierten Grundschule waren, soll dort in den Gebäuden der Goerdeler-Grundschule und der Pommern-Hauptschule an der Sybelstraße eine neue Schule entstehen. Beide Schulen litten in den vergangenen Jahren unter sinkenden Anmeldezahlen.
Geht es nach den Plänen des zuständigen Bildungsstadtrats Reinhard Naumann (SPD) und des Projektentwicklers Mathias Thimm, kann sich das bald ändern. Eine "reformpädagogische Gemeinschaftsschule" wollen die beiden schaffen: mit jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, offener Stundenplanstruktur, Unterricht nicht nach Fächern, sondern in größeren "Lernbereichen", verbindlichen "sozialen Lernzeiten" außerhalb der Schule und sogar der Überlegung, in bestimmten Jahrgangsstufen den normalen Unterricht komplett zugunsten außerschulischer Projekte aufzugeben. Der Reformpädagoge und Gründer der Laborschule Bielefeld, Hartmut von Hentig, stand Pate bei dem Modell. 170 Eltern seien bei der Informationsveranstaltung zur Schulneugründung gewesen, berichtet Schulstadtrat Naumann: "Die waren überzeugt."
Mit der Lina-Morgenstern-Gesamtschule, die bislang Haupt- und Mittleren Schulabschluss anbietet, beteiligt sich erstmals auch eine Kreuzberger Schule am Modellprojekt. Die Schule an der Gneisenaustraße will so ihren SchülerInnen künftig den Übergang in die Oberstufe erleichtern.
Ob auch eine eigene Oberstufe aufgebaut werden wird, sei noch offen, sagt Bezirksstadträtin Monika Herrmann (Grüne): "Wir bekommen dafür vom Senat nur Personal, wenn wir nachweisen können, dass Gymnasialplätze gebraucht werden." Dies sei angesichts sinkender Bewerberzahlen an den zwei Gymnasien im benachbarten Graefekiez aber fraglich. Dass es aus dem östlichen Kreuzberg, wo es zum Leid vieler Eltern keine Schule mit gymnasialer Oberstufe gibt, keine Gemeinschaftsschulbewerbung gibt, bedauert die Stadträtin, aber: "Dort sind Haupt- und Realschule derzeit heftig mit der Umsetzung der neuen Senatspläne befasst, diese zwei Schulformen zu verschmelzen." Der Zeitpunkt für eine Bewerbung als Gemeinschaftsschule sei deshalb "ungünstig".
Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD), vom Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses im Mai dazu verpflichtet, bis Jahresende ein Konzept zur "Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur" vorzulegen, hatte für Überraschung gesorgt, als er im September erste Eckpunkte dazu vorlegte. Deren Kern ist die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulschulen - bei Beibehaltung der Gymnasien. BefürworterInnen der Gemeinschaftsschule betrachten dies als Rückschritt - und als Grund für die niedrige Beteiligung an der zweiten Runde des Schulmodellprojektes der rot-roten Koalition.
Zöllners Vorschlag habe für "Verunsicherung" unter interessierten Schulen gesorgt, sagt etwa Steffen Zillich, bildungspolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus. Angesichts dessen sei die Zahl von sechs bis acht Bewerbern "kein schlechtes Ergebnis". In der geplanten dritten Bewerbungsphase im nächsten Jahr erwartet Zillich aber mehr Interessenten, denn "dann können die Schulen auf mehr Erfahrung mit der neuen Schulform zurückblicken."
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