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BildungBrandenburger Privatschulen sind so frei

Jedes Jahr gründen sich in Brandenburg neue Initiativen für Schulen in freier Trägerschaft. Die Eltern fordern schnellere finanzielle Unterstützung vom Land.

Die Schulaufsicht genehmigt alternative Pädagogikansätze nur ungern Bild: AP

Maik Wallis spricht das Wort aus, als ob es das alltäglichste der Welt wäre: das Vorwandelement. Als Allererstes kommen also die Vorwandelemente rein, erklärt er ausdauernd, er klingt dabei wie ein Experte für Sanitäreinrichtungen. Wallis beginnt gerade die letzte Renovierungsarbeit im einstöckigen Schulgebäude: Im Blaumann schleppt er das Gerüst für die Toilettenanlage durch den noch nackten Raum, der bald das Mädchenklo der Freien Schule Woltersdorf sein wird. Der Eindruck vom professionellen Klempner täuscht jedoch. Eigentlich sei er Kfz-Mechaniker, sagt Wallis. "Hab ich mir halt alles selbst beigebracht." So tickt man an der Freien Schule Woltersdorf.

Unterricht am See

Wallis Tochter geht auf die Grundschule, die den Kindern größtmögliche Entscheidungsfreiheit beim Lernen bieten will. In Woltersdorf, zehn Autominuten von Berlins östlicher Grenze entfernt, praktiziert die alternative Schule "offenen Unterricht": Wesentliche Inhalte präsentieren die drei festangestellten Pädagogen den 17 Kindern über so genannte Inputs - das sind kurze Einführungsphasen. Die Schüler suchen sich ihre Lerninhalte je nach Interesse selbst aus, die Pädagogen unterstützen und kontrollieren deren Fortschritte. Das kann im Arbeitsraum passieren oder im Musikzimmer. Oder im großen Garten. Oder auch am angrenzenden See.

"Kinder brauchen keine allgemeinen Lehrpläne, sondern individuelle Anregungen zum Lernen", erklärt der Vorsitzende des Trägervereins der Schule, Christian Grune. Der Diplompädagoge leitet die Schule ehrenamtlich. Weil einige Woltersdorfer Eltern unzufrieden waren mit der ortsansässigen Grundschule, gründeten sie 2006 die Initiative. Seit diesem Sommer läuft der Unterricht für die ersten Kinder.

Die Freie Schule Woltersdorf ist in Brandenburg kein Einzelfall: Der Anteil der Schulen in freier Trägerschaft, wie sich die Einrichtungen zur Vermeidung des Stigmas "Privatschule" gerne nennen, steigt stetig. Inzwischen gibt es 114 allgemeinbildende Schulen in freier Trägerschaft. Das sind 13 Prozent der allgemeinbildenden Schulen im Land, auf denen insgesamt etwa 6,5 Prozent der Brandenburger Schüler lernen.

Das Wachstum scheint längst nicht am Ende: Für das nächste Schuljahr liegen dem Brandenburger Bildungsministerium bereits weitere 46 Anträge auf Genehmigung vor. Freie Schulen müssen belegen, dass ihre Angebote gleichwertig mit denen staatlicher Schulen sind. Für nicht konfessionell gebundene Grundschulen muss zudem ein "besonderes pädagogisches Interesse" nachgewiesen werden.

In Woltersdorf ist dieses Interesse ziemlich offensichtlich. Einen festen Stundenplan sucht man hier vergeblich. Stattdessen zeigt ein selbst gebasteltes Poster die Tagesordnung in vier jeweils anderthalbstündigen Phasen: "Freie Arbeit", "Projektarbeit", "Angebot" sowie "Spiel", dazwischen jeweils Pausen. An der kniehohen Schulbank probieren zwei Jungen gerade einen Zirkel aus. Am anderen Ende des Arbeitsraums hat Jasmin sich für eine Mischung aus Deutsch und Kunst entschieden, sie illustriert ihre Geschichte vom Frosch Prisemut und Nulli, dem Hasen. Gerade kommt Joscha vorbeigerannt. Er eilt in den Musikraum und kommt gerade noch rechtzeitig zum C-Dur-Akkord.

"Stehen die Akkorde?", fragt Musiklehrerin Anja Hannemann in die Stuhlrunde, sechs kleine Gitarristen nicken. Hannemann spielt, singt und dirigiert gleichzeitig. "Kleine Igel - C-Dur - schlafen gern - G7 - den ganzen Winter - C-Dur - lang - mitsingen!" Die 37-Jährige geht auf die einzelnen Kinder ein. Man merkt, dass sie hauptberuflich an einer Musikschule arbeitet. Nur an ihren freien Tagen unterrichtet sie hier - ehrenamtlich. "Mir liegt sehr daran, dass eine alternative Schule aufgebaut wird", sagt sie. Ihr dreijähriger Sohn solle später auch hier zur Schule gehen. Noch sei das allerdings nicht sicher. "Meine finanzielle Situation ist einfach nicht stabil genug."

Monatlich 160 Euro zahlen die Woltersdorfer Eltern im Durchschnitt an den Trägerverein der Schule; rund 90 Euro mehr, als sie für Hortbetreuung und Essen an einer öffentlichen aufbringen müssten. Die Gebühren sind nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt, auch Kinder von Hartz-IV-Empfängern lernen hier. Die Elternbeiträge decken jedoch nur zirka 30 Prozent der Gesamtkosten, berichtet Grune. Bis die Schule einen Rechtsanspruch auf staatliche Zuschüsse hat, muss der Verein die fehlenden Gelder über Kredite der sozial-ökologischen GLS-Bank und zusätzliche Spenden der Eltern finanzieren. Wann die staatlichen Zuschüsse in Höhe von zirka 65 Prozent der Betriebskosten einer vergleichbaren Schule kommen, steht noch nicht fest: Im August 2007 wurde beschlossen, das Brandenburger Schulgesetz zu ändern. Bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes gilt eine schwammig formulierte Übergangsregelung. Diese lässt so viel Spielraum für Interpretationen, dass nun das Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Sachverhalt klären soll.

Lehrer sind abgesprungen

Der Woltersdorfer Trägerverein hat die Klage eingereicht. "Wir berufen uns auf einen Paragrafen, der nicht konfessionell gebundenen Schulen erstmalig zwei Jahre nach Schulgründung Gelder zuspricht. Das Ministerium will aber wie sonst üblich erst nach drei Jahren zahlen", erläutert Grune. Die Auslegungen der Gesetze durch das Ministerium ärgern ihn. Von Beginn an habe die Woltersdorfer Initiative kurz vor dem Scheitern gestanden, sagt er. Der Antrag für die Schulgründung wurde im März 2007 gestellt, die Genehmigung sei aber erst Ende Juli 2008 eingegangen - einen Monat vor dem geplanten Schulstart, berichtet Grune. Fast ein Jahr habe der Verein kaum Rückmeldungen zum Stand des Genehmigungsverfahrens erhalten. In dieser Zeit seien wichtige Verhandlungen mit Banken und Lehrern gelaufen, erzählt Grune. Zwei der eingeplanten Lehrer hätten wegen der langen Ungewissheit wieder abgesagt.

Auf Druck der Arbeitsgemeinschaft Freie Schulen Brandenburg wurden im Oktober nun Fristen zur Bearbeitung der Anträge erlassen. "Wir halten die Freie Schulen für eine willkommene Konkurrenz", sagt ein Sprecher des Bildungsministeriums. Grune hält das für "politischen Schönsprech". Er glaubt, dass Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) eigentlich an der staatlichen Verankerung von Schulen festhält. Die Schulaufsicht mache es Schulen immer noch sehr schwer, alternative Pädagogikansätze zur Genehmigung zu bringen, klagt er. "Gerade bei unkonventionellen Ansätzen scheint eine Auslese zugunsten traditioneller Modelle zu wirken. Rechtssicherheit gibt es nicht, man ist der Interpretation des Ministeriums ausgeliefert", so sein Vorwurf.

Feierabend für Leoparden

Dass das Projekt in Woltersdorf trotzdem klappte, darüber ist Diana Beermeier, eine der Mütter, sehr froh. Die Entscheidungsfreiheit der Kinder sei ihr am wichtigsten, sagt sie. Der Druck vermiese den Kindern in staatlichen Grundschulen schon früh die Lust aufs Lernen, glaubt sie. "Nur vormittags reinpowern bringt doch nichts."

Tatsächlich scheint den Kindern die Freiheit gut zu bekommen: Überall wird gearbeitet, herumgewuselt, nachgefragt. Der 29-jährige Alexander Urban kommt vor lauter Fragen der Kinder kaum ins Gespräch. Er ist einer der drei festangestellten Lehrkräfte. Nach seinem Referendariat musste er sich entscheiden: Zur Auswahl stand neben dem Angebot der Freien Schule Woltersdorf auch das einer staatlichen Grundschule in Spandau - für monatlich 300 Euro mehr. Letztendlich fand Urban die Freie Schule aber spannender, erzählt er. In seinem Referendariat habe er teilweise vor mehr als dreißig Schülern unterrichten müssen, dass sei eine Massenabfertigung gewesen. "Da gingen mir meine Ideale verloren", sagt der Lehrer.

Die Uhr zeigt halb drei. Am anderen Ende des Raums macht die Schülerin Fides Feierabend. Sie meldet sich bei ihrer Chefin - und Mitschülerin - Nele per Unterschrift ab. Bis eben hatte sie ihre Freundinnen im Schminkstudio als Leoparden angemalt. Ist das ein Spiel? Gehört es zum Deutschunterricht oder zur Bildenden Kunst? Den Kindern ist das egal. An der Freien Schule Woltersdorf wird eben auch beim Schminken gelernt.

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