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Bilderdienst mit Ikonen

Eine Zeitung ohne Fotos wäre öd und leer, die reinste Bleiwüste. Agenturen wie Associated Press sorgen dafür, dass es zu jedem Ereignis die passenden Bilder gibt. Gelegentlich werden diese Fotografien weltberühmt und landen in einer Ausstellung. Wie jetzt in Wien

von CHRISTOPH DANELZIK-BRÜGGEMANN

Eine Zeitung wird gelesen, das ist klar. Sie wird aber auch betrachtet. Zirka ein Achtel einer Tageszeitung besteht aus Fotos. Eine nicht repräsentative Umfrage des Autors dieser Zeilen ergab, dass der Fotoanteil einer Ausgabe auf etwa ein Drittel geschätzt wird. Die Wirkung der Fotoredaktion ist also beträchtlich höher als ihr materieller Beitrag. Fotos fallen stärker auf als Texte und haften leichter im Gedächtnis.

Ohne Fotos wären Zeitungen ungenießbare Bleiwüsten, und sie waren es bis weit ins 19. Jahrhundert. Einige Erfindungen brachten Leben in die Gazetten: der Holzstich, die Lithografie und die Fotografie. Um mehr Bilder schneller einem größeren Publikum in einer wachsenden Presselandschaft verfügbar zu machen, gründeten Verlage unabhängige Agenturen. Eine der ältesten und größten ist die „Associated Press“, bekannter unter ihrem Kürzel „AP“. Sie existiert seit 1848. Bis zu ein Viertel der Fotos einer Tageszeitung stammt von AP, konzentriert auf den Politik-, Wirtschafts- und Sportseiten.

An der Themenpalette hat sich in über 150 Jahren wenig geändert, und sie galt im Prinzip schon dreihundert Jahre früher: Kriege, Sensationen, Katastrophen, Kuriositäten und Prominenz bilden das Arsenal des Bildjournalismus. Im Revolutionsjahr 1848 war die Fototechnik so fortgeschritten, dass Pariser Barrikaden verewigt werden konnten. Bald darauf zogen tollkühne Fotopioniere mit zentnerschwerer Ausrüstung in den Krieg – von der Krim bis Düppel und Gettysburg. Leichen und Kadaver pflasterten ihren Weg.

Es war ein weiter Weg vom Ort des Geschehens bis in die Redaktionsstuben. Während Tickermeldungen und Agenturtexte meist schneller veralten, als sie geschrieben wurden, ergeht es vielen Fotos anders. Sie werden Teil des kulturellen Gedächtnisses. In ihnen scheint ein Rest der Zeit zu überdauern. Unzählige Bildbände dienen sich dem Publikum als Chroniken an. Selbst im Fernsehen werden den „Bildern, die Geschichte machten“ (ZDF), Sendungen gewidmet. Es entstand ein Kanon zeitgeschichtlicher Ikonen.

Ein guter Teil davon wurde für AP produziert. In einer Wanderausstellung zur Geschichte der Agentur sind die „Augenblicke des Jahrhunderts“ nun in Wien zu sehen. Ausgewählt wurden zweihundert unter hunderttausenden Bildern von der Agentur selbst. Eine Gesamtschau verbietet sich nicht allein wegen der Zahl: Die meisten Agenturfotos sind todlangweilige Dutzendware. Sie dienen der medialen Grundversorgung, vergleichbar den Tickermeldungen. Im Angebot einer Bildagentur finden sich hauptsächlich PolitikerInnenköpfe, belanglose Aufnahmen von Konferenzsälen und ewig repetierte Ansichten von Glanz und Elend des menschlichen Lebens.

Weswegen einer kleinen Menge des Bilderangebots dauernde Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist nicht leicht erklärbar. In ihr finden sich prägnante, ästhetisch beeindruckende Exemplare ebenso wie handwerkliches Mittelmaß. Auch kaum erkennbare Aufnahmen zählen zu ihnen, wenn sich ihre technischen Mängel aus der brenzligen Situation ergeben. Gerade in der Frühzeit der Reportagefotografie erzwang die Aufnahmetechnik undramatische Bilder. Aber auch die fotojournalistische Ästhetik musste sich ausbilden. Eine Aufnahme des brennenden San Francisco nach dem Erdbeben von 1906 öffnet den Blick in eine abfallende Straße, an deren Ende das flammende Inferno tobt. Am Standort der Kamera stehen zwischen intakten Häusern und Ruinen Gruppen von Schaulustigen. Perfekt wird das Bild durch den Einfall des Sonnenlichts. Dagegen dokumentiert die Aufnahme der Rettungsaktion nach einer „tödlichen Dampferfahrt“ von 1915 das Geschehen statisch. Nicht die Szene ist spannend, sondern die geschilderte Tragödie: Das Boot kenterte auf dem Chicago River nur wenige Meter vom Ufer entfernt – und doch ertranken achthundert Passagiere.

Wenn das durch die Fotoauswahl der Ausstellung bestimmte Profil der Agentur repräsentativ ist, dann ist ihr hoher journalistischer Anspruch erkennbar. Ihre Glaubwürdigkeit wird durch ihre Gesellschafterstruktur gestützt, die keinem beteiligten Verlag einen bestimmenden Einfluss erlaubt. Diese Bilder machen süchtig nach Bildgeschichte. Sie zeigen in politisch korrekter Mischung die Mächtigen und Schwachen dieser Welt. Zu ihrem Amerika gehören eine Nudistenhochzeit ebenso wie Aufnahmen von Sacco und Vanzetti und die Opfer von Bandenkriegen. Von AP erhielt die Weltpresse unkritische Aufnahmen von den Olympischen Spielen in Berlin, aber auch erschütternde Einblicke in den alltäglichen Naziterror.

Ohne AP wäre auch die Szene einer Landpartie aus Fort Lauderdale in den Dreißigerjahren nicht erhalten. Weiße Männer, die Kreissäge flott auf dem Kopf, Frauen und Kinder umstehen eine Kiefer, an deren Geäst ein gelynchter Schwarzer hängt. Bekannt ist der Name des Opfers, nicht des Fotografen. Der Name gehört zur Nachricht. Die FotografInnen bleiben meistens anonym. Erst seit fünfzehn Jahren werden sie regelmäßig genannt.

Kaum ein Moment der jüngeren Weltgeschichte entging dem Team der AP. Sie wird in dem verwackelten Schnappschuss eines japanischen Kamikazeangriffs ebenso spürbar wie in einer inszenierten Situation wie der Hissung des Union Jack auf Iwo Jima. Weder in der Ausstellung noch im Begleitbuch wird angemerkt, dass das Foto gestellt wurde. Hier wird eine Schwäche der Ausstellung sichtbar: Sie bietet eine imposante Bilderchronik. Sie könnte aber von einem Medium erzählen, das Geschichtsbilder konstruiert und gleichzeitig unwiderstehliche Realitätstreue suggeriert. An einigen Stellen wird das Medium hinter der Story sichtbar. Zu sehen ist etwa das erste gedruckte Funkbild, es stammt aus dem Jahr 1935. Seither hat sich der Bildjournalismus koninuierlich beschleunigt. Absolute Gegenwart erlaubt heute die digitale Fotografie: Fotos aus den Katastrophenzonen landen per E-Mail in Sekunden bei der Agentur.

Bis zum 18. März 2001 im Kaiserlichen Hofmobiliendepot Wien, vom 1. April bis 24. Juni 2001 im Stadtmuseum Erlangen. Der Katalog erschien im Verlag Hatje Cantz und kostet 48 Mark

CHRISTOPH DANELZIK-BRÜGGEMANN forscht am Sonderforschungsbereich „Erinnerungskulturen“ der Universität Gießen und redigiert die „kritischen berichte“

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