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Bilder machen Arbeit

Eine Werkschau des Berliner Filmemachers Hartmut Bitomsky  ■ Von Barbara Häusler

Essays und Dokumentarfilme gelten als schwierige Genres. Außerhalb einschlägiger Festivals sind sie auf späte Sendeplätze der dritten Fernsehprogramme verbannt, im Kino tauchen sie nur selten auf. Es ist also ein Wagnis, gleich eine komplette Werkschau eines Regisseurs zu zeigen, der sich selbst zwischen diesen beiden Genres sieht.

Dabei gehört Hartmut Bitomsky noch zu den bekannteren deutschen Filmemachern. 1962 kam er zwanzigjährig aus Bremen nach Berlin, wo er bis heute arbeitet. Er studierte an der neugegründeten Berliner Filmhochschule, bis er 1968 wegen Beteiligung an deren Besetzung hinausgeworfen wurde, und war Mitarbeiter der kollektiv herausgegebenen Zeitschrift 'Filmkritik‘. Seit 1967 hat er an die zwanzig Filme gedreht, Kurzfilme, Spielfilme, Lehrfilme (zusammen mit Harun Farocki), viele davon für das Fernsehen. Bekannt wurde er durch seine Deutsche Trilogie, deren zweiter Teil Reichsautobahn 1985 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.

Bitomsky interessiert sich nicht für Authentizität; das Thema seiner Filme sind die Bilder selbst: was sie behaupten und bewirken, was sie transportieren und wie sie entstehen.

Wirkung und Wahrheit

Das Kino und der Wind und die Photographie (1991), eine Video-Arbeit über dokumentarische Filme, beginnt Bitomsky mit einer bekannten Anekdote: Bei der Aufführung des ersten Films der Brüder Lumière, in dem eine Lokomotive in einen Bahnhof einfährt, seien viele Leute kreischend aus dem Kino gelaufen, weil sie fürchteten, von dem auf sie zurasenden Zug überrollt zu werden. Bitomsky mag an diesen Gründungsmythos des Kinos nicht glauben, die Menschen auf dem Bahnsteig im Bild wirken ruhig und unerschrocken. Er setzt dagegen die Anekdote von Georges Méliès, der 1901 die Krönung EdwardsVII. dokumentieren sollte. Da das Filmen während der Zeremonie selbst verboten war, mußte die Szene im Studio gestellt werden. Ein junger Schauspieler bekam eine Krone auf den Kopf gesetzt, die Dokumentation der Krönung eilte ihrem eigentlichen Ereignis voraus und wurde als authentisches Zeugnis in London gerührt bejubelt. Vielleicht, kommentiert Bitomsky, ist diese Auffassung gar nicht so falsch: Eine Krönung ist auch nichts anderes als jedes andere Ereignis. Denn die Wirkung eines Films und seine Wahrheit sind niemals eins.

Simplen Realismus gibt es nicht, es ist die inszenierte Wirklichkeit, die in Méliès' Film funktioniert. Und Film ist Arbeit an der Wirklichkeit. Der Wunsch der Zuschauer, daß durch Bilder eine Wirklichkeit hergestellt wird, ist die Basis ihrer Macht.

Die Deutsche Trilogie basiert auf Propagandafilmen des Dritten Reichs aus dem Kopenhagener Filmmuseum und dem Bundesarchiv in Koblenz. Verbannte Bilder, die seit dem Krieg nur in didaktischer Aufbereitung gezeigt werden durften. Bitomsky hat sich durch Hunderte dieser zum Teil vergessenen Filme gearbeitet, und es war nicht die vordergründige militärische oder politische Propaganda, die ihn daran interessierte. Überraschenderweise entdeckte er in ihnen die „Asphaltlyrik“ wieder, mit ihrem Versuch, eine deutsche Identität zu definieren, die ihren kollektiven Ausdruck in Industriekultur fand — Arbeit, Straßen, Technik und Fortschritt. Das Wegräumen der Bilder, der fehlende öffentliche Bildersturz, hat eine kollektive Auseinandersetzung mit ihnen verhindert. Wie also wirkten diese Bilder, wie wirken sie vielleicht noch immer?

Deutschlandbilder (1983, zusammen mit Heiner Mühlenbrock) ist eine Montage aus Nazipropaganda- und -kulturfilmen. „Wie kann man über diese Bilder sprechen, worüber sprechen diese Bilder?“ fragt Bitomsky aus dem Off. Ihr Zentrum ist die Arbeit. Werkssport, Ernährung, Körperkultur, Freizeit: alles ist auf den Arbeitsprozeß bezogen. Das Schönheitsideal der Zeit gipfelt in der Arbeit selbst. Bitomsky findet die Vorliebe für Paraden in den Bildern wieder, auch in den teilweise aberwitzigen Choreographien, in denen Werkzeuge und Maschinenteile tanzen. Sie sind tautologisch: „Das Ausgerichtete ist geradlinig — die Natur natürlich — das Organische lebendig — Anmut harmonisch — und so weiter.“ Bitomsky wertet nicht. Er zeigt Respekt vor der Kraft, die die Bilder bei den Nazifilmern erlangen konnten.

Auch Reichsautobahn (1985) ist eine Montage aus Filmmaterial der Nazis. Entgegen landläufiger Auffassungen haben sie die Autobahn nicht erfunden. Der Film zeigt, was sie wirklich erfunden haben: die Ästhetik der Autobahn. Eine wahre Bilderflut begleitet ihren Bau. Ein Reichsautobahngenre entsteht: Bildbände, Spielfilme, Dokumentationen. „Als wäre die Autobahn ohne Bilder nicht möglich gewesen.“ Das Bauwerk wird Lebensgefühl einer Epoche. Auch hier wieder im Zentrum: die Arbeit. Nicht nur diejenige der Straßenbauer. Auch die zukünftigen Nutzer messen die Zeitersparnis gegenüber Fahrten auf holprigen Landstraßen in Parametern eines Arbeitstages. Und Politiker fahren sie in einweihender oder geheimer Mission ab und werden bei dieser Arbeit zu wahren Kilometerfressern.

Der VW Komplex (1989) ist der letzte Film dieses Zyklus', „deutscher“ Bilder; Bitomsky mischt darin historisches Material mit eigenen Aufnahmen. Das Thema und die Bilder gleichen sich verräterisch. Die Gründungsästhetik und -gesinnung verknüpft sich beinahe nahtlos mit der Jetztzeit. Faszination an der Komplexität von Produktionsprozessen und ihren Bildern besteht noch immer. Bitomsky schließt diese Faszination nicht auf, sondern erliegt ihr. Moderne Fahrstraßen und ihre Leitsysteme; die endlosen Blechspiralen, je 50 Quadratmeter davon ergeben einen Golf; die gewalttätige Monotonie der Stanzen und Pressen: diese Bilder lösen ihren kritischen Anspruch nicht ein, sondern setzen den beanstandeten Gestus fort. „Wie man einen VW auch zusammenbaut, es kommt immer die Bundesrepublik dabei heraus.“ Die Geschichte des Volkswagens und des Konzerns als Metapher für Nachkriegsdeutschland: diese Metapher bleibt eine Behauptung und der Film ihre Begründung schuldig.

Bitomskys Arbeitstechnik ist beharrlich. Er nimmt die Bilder ernst, auch gegen ihre Verwendung. Oft entzieht er sie der Bewegung, isoliert sie aus ihrem Kontext. Und man begreift, daß Bewegung eine bestimmte Art des Sehens erzeugt. Dieses Sehen in der Bewegung — ob aus der (Kamera)Fahrt heraus oder als statisches Beobachten bewegter Szenen — sieht immer etwas anderes als das Betrachten einer Fotografie. Bitomsky erklärt den Effekt des bewegten Bildes mit seiner Basis: dem Einzelbild.

Standbilder

In Das Kino und der Tod (1988) verschränken sich filmtheoretische und kulturkritische Motive Bitomskys am deutlichsten, sind Arbeitstechnik und Präsentation am radikalsten. Das Kino und der Tod, einmal quer durch Klassiker der Filmgeschichte — ohne einen einzigen Filmausschnitt. Nur aus den Filmen herauskopierte Standfotos, die er in Sequenzen aufblättert, die Kommentare kommen nicht mehr ausschließlich aus dem Off. Bilder sind Arbeit: Bitomsky zeigt diese Arbeit, indem er sich ins Bild bringt. Und weil man das Betrachten der Bilder nicht zeigen kann, müssen seine Hände, die sie halten und bewegen, die Vermittlung leisten. Ein Austausch der Sinne.

Das Kino und der Tod: Das ist die Arbeit des Tötens, wie sie Hitchcock in Der zerrissene Vorhang vorführt oder die Sichtbarkeit des Todes im gebrochenen, nichts mehr sehenden Auge Janet Leighs in Psycho; es ist das Sterben, der fachgerechte Kinotod in seiner Differenz zum wirklichen Tod: „Die Schauspieler betonen die Kunst des Schauspiels, nicht die Kunst des Sterbens.“ Das Kino und der Tod, das sind auch die Schauplätze des Todes. Denn ein Held stirbt immer anderswo, vor anderen Kulissen, als ein kleiner Gauner oder Komparse. Und schon immer spielte das Kino mit der Angst der Lebenden, die Toten könnten zurückkehren und ihren Tribut fordern.

1980 hat Bitomsky die USA durchquert, 3.000 Meilen von Atlantic City nach San Francisco, auf dem Highway 40 West. In diesem Road- Movie, das keines ist, sind alle Motive angelegt. Die Straße, Lebensader und Bewegung selbst, die Bilder, die an einem vorbeifliegen. Der Highway ist mit den Lebensbedingungen seiner Anwohner eng verknüpft, Verlaufsänderungen haben ganze Landstriche isoliert. Eine Fahrt einmal durch die Geschichte der USA: die Siedler, die Farmer, der Goldrausch und die Industrialisierung. „Was ist Gold?“ fragt Bitomsky einen Goldschürfer. „Mehr Glück oder mehr Arbeit?“ Arbeit, natürlich. Das Gespräch mit einem Spielcasinobesitzer wird durch das Rattern eines Silbergeld ausspuckenden Automaten außerhalb des Bildes gestört. Der Besitzer verdreht die Augen. Man weiß nicht so genau, es kann beidem gelten, dem Verlust oder der Störung.

Was ist diese Szene für Bitomsky: mehr Glück oder mehr Arbeit?

Innerhalb der Werkschau, die ab 16.April zunächst in Berlin, ab Sommer und Herbst auch in anderen Großstädten gezeigt wird, laufen außer den erwähnten Filmen auch die Kurzfilme 3000 Häuser (1967), Isaak Babel (1990), Infrastruktur Berlin West (1987) u.a. Am 19.April findet nach der 19-Uhr- Vorstellung der Video-Trilogie Das Kino und der Tod im Berliner Kino Sputnik am Südstern ein Filmgespräch mit Hartmut Bitomsky statt.

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