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Bilder für zehn Städte

■ »Fotografie für die Stadt« — eine Ausstellung im Kunstamt Kreuzberg

Im Bethanien ist es immer, auch im November, heiß. Die Arbeiten der zehn FotografInnen in der Ausstellung Fotografie für die Stadt wirken dagegen sonderbar kühl. Vor einem Jahr durch die Arbeitsgemeinschaft Fotografie der NGBK unter 232 Bewerbern ausgewählt und aus Mitteln der Klassenlotterie mit einem Arbeitsstipendium von 6.000 DM ausgestattet, versuchte sich jedeR der KünstlerInnen auf ihre und seine (Sicht-)Weise am BerlinThema.

Dieses wurde glücklicherweise sehr weit ausgelegt und grundverschieden bearbeitet, so daß einem erspart bleibt, die zum Überdruß bekannten Bilder des vergangenen Jahres womöglich ein weiteres Mal präsentiert zu bekommen. Mauer, Trabis und Tränen fehlen also, und das hielt auch wahlkämpfende Politiker von der Eröffnung fern. Die jüngste Geschichte der Stadt wird weit subtiler angegangen.

Winfried Mateykas Fotosequenz mit dem Titel Wenn ich nachts durch Neukölln laufe und auf einmal in Treptow lande beispielsweise. Eine Stadt ist nachts anders, ehrlicher vielleicht und zugleich wunderlicher. Das Schlafgesicht bleibt angespannt, manchmal gespenstisch. Mit Planen verschnürte, abgestellte Motorräder im Laternenlicht wirken auf Mateykas Foto wie Kunstwerke oder tote Tiere. Die Nacht verwischt die Grenzen, sie mildert Glanz und Elend.

Auch Sabine Kelm hat sich nächtens auf den Weg gemacht und nannte ihr Porträt der Potsdamer Straße Wild giert die Lust nach Leben. Neben den allseits bekannten und für Fotopostkarten ins Bayerische so beliebten Bildern der »schrillen« Typen gelangen ihr einige Momentaufnahmen, die alles Platte hinter sich lassen und zu faszinierenden Metaphern werden. Claudia Esch-Kenkel vertritt die klassische Dokumentarfotografie, wie sie in der DDR der siebziger Jahre ihre absolute Hochzeit erlebte. Das hat mich nicht wenig verblüfft, meinte ich doch im ersten Moment, Produktionsbildern von Hans Wulf Kunze oder Günter Kratuschke gegenüberzustehen, die jahrelang beharrlich durch die Großbetriebe zogen. Die Fotografin war bei Bergmann-Borsig, einer Fabrik im Bezirk Pankow, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie mit der Exotik pokert, die diese Bilder auf sich für hochentwickelt haltende Westler zweifellos haben mögen.

Streng an das Thema gehalten hat sich André Kirchner. Er zeigt klassische Stadtfotografie, technisch absolut perfekt. Menschen werden ausgespart. Um die kaum spürbaren Brüche in den Bildern, eine geheimnisvolle Ruhe wie vor dem ersten Blitz eines Sommergewitters, zu erfassen, braucht es Zeit. Tina Bara dagegen definiert ihre Beziehung zur Stadt ganz über die sie umgebenden Menschen — meist sind es Freundinnen. Für diese Ausstellung porträtierte sie Freundinnen, die, wie sie selbst, noch vor der Maueröffnung von Ost- nach West-Berlin zogen. Viele kennt sie seit Jahren. Der Vorwurf, die Bara klebe immer nur im Privaten, trifft dennoch nicht zu. Sie fotografiert nur, was sie genau kennt, arbeitet bedächtig und gefühlvoll. So sind persönliche Aufnahmen entstanden, die gleichermaßen über die Porträtierten wie über deren Beziehung zur Fotografin erzählen.

Auch Lothar Michael Peter hat Berliner zum »Gegenstand« seiner Bilder gemacht: Familien aus Chile, Albanien, China, Griechenland, der Türkei usf. Sonntäglich gekleidet und vollzählig läßt er sie für die Kamera posieren — nur der Schnitt ihrer Gesichter und vielleicht ein Stückchen Zimmerwand lassen Rückschlüsse auf Identität und Lebensweise zu. Mich beschlich ein Gefühl wie beim Betrachten fremder Hochzeitsbilder — aber das mag durchaus beabsichtigt gewesen sein.

Barbara Esch nennt ihre Sequenz Mythische Plätze und fügt an: »Bilder sind da, wo Worte fehlen. In der Reduktion liegt die Erweiterung. Dokumentarische Stadtfotografie anhand an bestimmten Orten gefundener Gegenstände.« Vom Fundort weggetragen und für sich allein stehend, hat Barbara Esch Alltagsdinge fotografiert und sie mit Hilfe der Titel wieder zugeordnet: ein alter Spaten vom Polenmarkt, ein vertrockneter Blumenstrauß aus dem Friedrichshain, drei aufgeschichtete Pflastersteine aus der Friesenstraße und der Porzellanteller mit Papstbildnis vom John- F.-Kennedy-Platz. Diese »Souvenirs ganz anderer Art« aus der Großstadt haben ihre ganz eigene phantastische Aura. Ulrike Stöhring

Noch bis zum 9.12. im Kunstamt Kreuzberg, Mariannenplatz, Berlin 36.

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