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Bilder an der Macht

Nazis mit Sex-Appeal im Dokumentarfilm und anderswo. Wer lebt im Cyberspace, die oder wir? Ein verliebtes Riefenstahl-Portrait, jetzt frisch im Programmkino, ergänzt die Jubelparade von 1993  ■ Von Mariam Niroumand

Das Berliner Moviemento- Kino am Kottbusser Damm hat sich schon immer durch ein trendiges Händchen ausgezeichnet; also wenn die zur Prime-Time einen Dokumentarfilm ins Programm nehmen, dann wissen sie, was sie tun. Drei Stunden lang harrte ein ungewöhnlich durchwachsenes Publikum, Kreuzberger wie Anti- Kreuzberger, Touristen, Sozialarbeiter und durchreisende Industriekaufleute, aus, als vorgestern nacht „Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl“ gegeben wurde. Aufgeregtes Rascheln und Flüstern: Irgendwie entstand schon ganz früh diese gewisse Geisterbahn-Atmo, die Angstlust, die auch bei neuen, noch gemeineren, noch splattrigeren Splatterfilmen zu herrschen pflegt. Die Vorführung war von dem abwehrenden Zwischengelächter begleitet, mit dem gerade in Berliner Szenekinos gerne auf Bilder reagiert wird, bei denen man aus dem Ungefähren plötzliche Faszination und anderes in sich aufsteigen fühlt.

Der Film nähert sich der Münchener Villa der Regisseurin am Abend, bleibt vor der Wohnzimmer-Fensterfront stehen und beobachtet sie, wie sie nachdenklich im gedämpften Licht auf und ab schreitet – ein Spielfilm-Einstieg mit einem Hauch von Kulenkampff, wie er klassischer nicht sein könnte, und der Leni hätt's gefallen: Genau so, das wird sie in diesem Film lang und breit erklären, hat sie sich der Langeweile statischer „Wochenschau“-Berichte entzogen, wenn sie Langstreckenläufer oder Vorbeimärsche filmte: ein bißchen Drama, ein bißchen Klassik, ein Zug zum Höheren. Das ist nicht neu, und von Syberberg bis Canetti/Theweleit ist gesagt, was zu sagen war. Warum kommt es jetzt wieder, und zwar ohne die analytische Bodenhaftung? Der erste Teil des Films ist die Sister-Carrie-Story der Leni Riefenstahl: wie sie, die Tänzerin, am U-Bahnhof Nollendorfplatz stehend, das Plakat zu einem Bergfilm von Arnold Fanck sah. Ein Mann erklomm einen Gipfel, und Leni wußte, sie muß mit. Sie schrieb tatsächlich an Luis Trenker, und gemeinsam drehten sie im Engerdin und anderswo Filme über die lawinenbedrohte Liebe eines jungen Naturmädchens zu einem aus dem Tal (Verkommenheit, Dekadenz, Unglück), die dann doch bei ihresgleichen endet (Schäfersbursch, ehrlicher).

Das Publikum im Moviemento lachte ab und an bei den Auschnitten aus „Die weiße Hölle von Piz Palü“ (1927), wenn die Riefenstahl barfuß, mit verkrallten Nägeln, eine Wand erklomm oder an Schnüren hängend unter Schneemassen begraben wurde. Aber gleichzeitig war da eine Begeisterung zu spüren: Leni als Wildfang unter freiem Himmel, die Unschuld der Aufnahmen, bevor der Tonfilm und die Farbe kam, und natürlich auch: Eine Frau startet durch – New Yorker Avantgarde- Filmfestivals zeigten die Riefenstahl schon in den siebziger Jahren im Rahmen von feministischen Filmreihen.

Die Bergdramen waren es, die Hitler darauf brachten, die Riefenstahl zur Begleitung des NSDAP- Parteitags 1933 (dabei entstand „Sieg des Glaubens“, ein Film, den sie gern verschweigt) und dem späteren, perfektionierteren von 1935, zu bewegen, bei dem schließlich „Triumph des Willens“ entstand. Die neunzigjährige Frau Riefenstahl präsentiert dem Filmemacher ungestört die Mythologie, die sie in all den Jahren um ihre Person herumgesponnen hat: Sie sei eine Künstlerin gewesen, die das Schöne gesucht habe, sie habe sich gegen Goebbels Eingriffe wehren müssen, sie habe mit der Choreographie nichts zu tun gehabt, sie habe sich ständig gegen die Bürokratie zur Wehr setzen müssen.

Richtig grotesk wird es, als Müller, der Regisseur, das Jahr 1945 als das Jahr darstellt, in dem Lenis Träume zerbrachen, und das mit Aufnahmen von der Befreiung der Konzentrationslager belegt. „Nach dem Krieg“, so heißt es bewegt aus dem Off, „hat eine ganze Nation ihre Schuld auf dieser Frau abgeladen. Andere, die Menschen umgebracht hatten, kamen ungeschoren davon. Wie gefährlich können Bilder sein?“ Zum endgültigen Beleg des Unschuldspostulats zeigt die zweite Hälfte des Films Riefenstahl beim Stamme der Nuba in Kordofan, später bei Unterwasseraufnahmen („Die Zerstörung der Meereswelt hat Leni Riefenstahl so betroffen gemacht, daß sie Mitglied von Greenpeace wurde.“).

Obwohl Susan Sontag, die in dem Film auch noch zitiert wird, schon vor zwanzig Jahren darauf hingewiesen hat, daß das Sujet ganz gleichgültig ist, wenn es darum geht, faschistische Ästhetik zu produzieren, schwelgt der Film mit Riefenstahl in der Betrachtung eines großmäuligen Haies, der dem Taucher einen kleineren Fisch wegreißt.

So kreuzte sich in diesem Film zum Jahresende, was schon eine Weile in der Luft lag und die Kommentatoren umtrieb. Leben die Nazis in einem Cyberspace – wie Riefenstahl unter Wasser oder wie „Bennys Video“ für einen vereinsamten Teenager-Mörder nahelegt? Die Vermutung muß Claudius Seidl geritten haben, als er in seiner Spiegel-Jahresbilanz plötzlich behauptete, der Krieg in Bosnien sei für linke Medienkritiker ein Krieg um das Realitätsprinzip.

Leben wir in einem Cyberspace der guten Hoffnung, und nur die Nazis leben in Aktion, wie das Bonengels „Beruf Neonazi“ nahelegt, der atemlos der Ubiquität neonazistischer Vertriebssysteme folgt? Oder führen die Nazis das gute, wilde Leben, sind sie unsere Nobel Savages, die machtvolle Rückkehr des sozialdemokratisch Verdrängten, der rohe, hierarchische Sex von ganz, ganz unten, wie „Romper Stomper“ oder „Luna Park“ es dröhnend nahelegen (auch Heises „Stau – Jetzt geht's los“ hatte was davon, auch wenn die Jungs eher müde Krieger waren).

Die subkutane Attraktion zwischen Filmemacher und Protagonisten, die sowohl in Karmakras „Warheads“ als auch in „Beruf Neonazi“ zu spüren war, spricht ein bißchen für Sontags erstaunlich haltbare These, daß den Nazis auf die Pelle rücken etwas mit dramatisierter Pornographie zu tun hat: „Now there is a master scenario available to everyone. The color is black, the material is leather, the seduction is beauty, the justification is honesty, the aim is ecstasy, the fantasy is death.“

Die Zensurdebatte, die manche dieser Filme prompt auslösten, klingt mitunter, als hätten einige Beteiligte nochmal in Freuds „Einführungen“ geblättert und wollten sich nun zum nationalen Gesamt- Ich aufspielen. Wieder offenbarte sich, wie außerordentlich gering hierzulande das Vertrauen in 50 Jahre demokratisiertes Erwachsenenleben ist; jederzeit könne da was durchbrechen aus dem unwägbaren Sumpf des kollektiven Unbewußten („Stau“) – ein Gedanke, der auf paradoxe Weise wieder die Reinheitsfantasien heraufbeschwört, über die schon Riefenstahls Nuba erstaunt gewesen sein müssen. Was einerseits einen seltsam archaischen Glauben in die Macht der Bilder zum Ausdruck bringt, ist andererseits ein noch größerer Glaube in die Macht des Wortes: Als hätte ein kritischer Kommentar zum Beispiel „Triumph des Willens“ zu einem „Dokumentarfilm“ über einen Parteitag machen können, als hätte eine väterlich strafende Stimme der inzwischen berüchtigten Auschwitz- Szene von „Beruf Neonazi“ irgendetwas von ihrem Schrecken nehmen können. Kleine Pikanterie am Rande: In einem irritierenden Triumph des Nicht-Wollens sagt die Riefenstahl zu ihrer Verteidigung, ihr „Olympia“-Film hätte gar kein Propagandafilm sein können, denn er habe ja schließlich keinen Kommentar gehabt...

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