Bilanz nach einem Jahr Ampel: Auf Harmonie getrimmt

Nach einem Jahr Ampel ziehen die Frak­ti­ons­che­f*in­nen Bilanz. Der Ton ist pragmatischer geworden. Dennoch sind sich alle einig: Läuft super.

Dürr, Dröge, Haßelmann und Mützenich gehen durch einen Flur und sprechen miteinander

Scheinbar Hand in Hand: Christian Dürr, Katharina Dröge, Britta Haßelmann und Rolf Mützenich Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Lustig wurde es eigentlich erst, als ein Journalist nach der abgewetzten Aktentasche von Olaf Scholz fragte, die der Kanzler ständig mit sich herumschleppt. Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD, musste da erst mal überlegen. „Mich begeistert eigentlich, dass Olaf Scholz an traditionellen Arbeitsmitteln festhält, und wenn in dieser Tasche gute Inhalte sind, dann soll er diese Tasche auch weiterhin durch sein Leben tragen“, sagte er dann ziemlich bedacht. Darin seien ja gute Kabinettsvorlagen.

Sein FDP-Kollege Christian Dürr mutmaßte daraufhin, dass darin ja bestimmt auch ein Tablet sei, „wegen Digitalisierung und so“. Dürr lachte los und stupste Mützenich kurz an. Diese Aufheiterung haben irgendwie alle gebraucht. Denn sonst war das Ganze eine ziemlich bedächtige, durchchoreografierte Veranstaltung: Nach einem Jahr Ampel wollten die Fraktionsvorsitzenden der Ampelparteien eine erste Zwischenbilanz ziehen.

Dafür stellten sich Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann und Katharina Dröge (Grüne) sowie FDP-Mann Christian Dürr am Mittwoch vor vier schmale Mikrofone im Berliner Paul-Löbe-Haus. Im Hintergrund war das Kanzleramt zu sehen, sie selbst blickten auf die Berliner Spree und auf einen Haufen Hauptstadtjournalisten.

Natürlich war klar: Nach einem krisengeprägten Jahr wird das ein Harmonietermin zum Jahresende. Erwartbar lobte Mützenich die Zusammenarbeit und sprach von drei „gleichberechtigten Partnern“. Und doch kann man Mützenich zugute halten, dass er sich nicht an Standardphrasen abarbeitete. Die Worte Doppelwumms und Zeitenwende ließ er aus. „Es ist nicht nur eine Fortschrittskoalition“, sondern auch eine Koalition, die in den letzten zwölf Monaten „Krisenpolitik betreiben musste“. Gemessen an der Aufbruchstimmung vor einem Jahr klang der Sound deutlich runtergepegelt und pragmatischer. Trotz eines „beispiellosen Angriffskriegs“ habe der Bundestag im ersten Jahr rund hundert Gesetzentwürfe verabschiedet, sagte Mützenich.

Zu Beginn war das Versprechen ja groß: Mehr Fortschritt wagen wollte die Ampel, die erste Dreierkoalition im Bund, die einen Bruch mit dem traditionellen Lagerdenken markierte. Doch dann überlagerten sich die Krisen in einem unvorhersehbaren Ausmaß: Klimakrise, Pandemie, der russische Angriffskrieg. Aus der selbst ernannten Fortschrittskoalition wurde die Krisenbewältigungskoalition.

Umfragewerte so mies wie das nasskalte Berliner Wetter

Oder, wie es Britta Haßelmann formulierte: „eine Arbeitskoalition“. Für die Ampel stünden in dieser krisenhaften Zeit „die Menschen im Mittelpunkt“. Haßelmann sprach dann über „wertegebundene Außenpolitik mit Haltung und klarem Kompass“, über Solidarität mit der Ukraine, Bürgergeld, erhöhtes Kindergeld oder die Abschaffung des Paragrafen 219a.

Dröge setzte die Lobeshymne fort: „Wir sind die erste Koalition seit 16 Jahren, die den Klimaschutz in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt.“ Man habe mit dem 49-Euro-Ticket gezeigt, „was geht, wenn drei Partnerinnen und Partner entschlossen handeln und es wagen, einmal Strukturen in Frage zu stellen“. Was sie natürlich nicht erwähnte: den zermürbenden Streit zwischen Grünen und FDP um die Atomkraft oder die Tragödie der Gasumlage.

Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr wählte recht nette Worte für seine Koalitionspartner. „Wir wollten mehr Fortschritt wagen und genau das tut diese Koalition“, sagte er. Die FDP tut sich in der Ampelregierung nach etlichen Wahlschlappen ja bekanntlich besonders schwer, und manchmal klingt die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen wie eine Bürde. Aber am Mittwoch waren dann doch alle auf Harmonie getrimmt. Dürr erwähnte etwa das LNG-Terminal in Wilhelmshaven und sagte: „Das hätte vor Monaten ja niemand geglaubt, dass Deutschland so schnell sein kann“.

Und doch ist es so, dass die Umfragewerte der Ampel genau so mies sind wie das nasskalte Wetter in Berlin.

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