Village Voice
: Biertrinker spielen Ska

■ „Berlin & Pogo“, die dritte von Michele Baresi

Im Plänterwald hat man die Sensibilität nicht erfunden. Man hat sie sich hart erarbeitet. Michele Baresi begannen mit ungelenken Offbeat-Gehversuchen, mit losrotzenden Bläsern und mit einem Sänger, dessen Stimmbänder nur selten so wollten wie er. Man hat lange geübt, so lange, bis die Kritiker in ihre Kritiken reinschrieben, Michele Baresi würden „Salsa“, „Ska“, „Funk“, „Pop“ und „Latin Reggae“ spielen, halt all das, was sie immer reinschreiben, wenn die Rhythmussektion nicht stur auf der Eins und der Drei betont.

Sie hätten einen „Wessi-Wirtschaftswunder-Sound“, wurde auf geduldiges Papier geschrieben, sie würden sich anhören nach „Karibik“ und „Berliner Kiez“, kurz: Eine „Funband“ mit „Partymusik“. All das hat sich viele Jahre und drei Platten später kaum geändert.

Aber im Plänterwald hat man eine Tugend aus der Not gemacht. Die Partyqualitäten hat man ohne Zweifel perfektioniert. Mir fällt nicht viel Musik ein, bei der man sich so gut vorstellen kann, daß viele verschiedene Menschen friedlich nebeneinander stehen, um zum meist gleichbleibenden Tempo das Kinn auf und nieder fahren zu lassen. Diese Qualitäten auf der Bühne haben Michele Baresi bekannt gemacht.

Auf Platte klangen sie aber bisher immer recht blutleer. Machten zum Beispiel 1993 den Fehler, „Willkommen in Barbaristan“ in England von Martin Rushent, dem Produzenten von Human League, abmischen zu lassen. Jetzt sind sie wieder zu Hause, es war aufregend in der Fremde, aber auch Judy Garland wollte damals wieder zurück.

Für „Berlin & Pogo“ wurde die Karibik in Hamburg reproduziert, was vor allem den Bläsern gutgetan haben muß, denn sie bestimmen – wie auch auf der Bühne – den Gesamteindruck. Und da wären wir schon bei der Sensibilität. Die Fußballfans (Romario und Franco Baresi tauchen in der Thanx-Liste auf, ebenso wie Peter Bond) verführen einen nicht gerade zum Tanzen, schleichen sich nicht vorsichtig an. Der Baresi-Beat nimmt dich, auch wenn du ihn nicht willst. So was passiert, wenn Biertrinker Ska spielen.

Selbst „Siesta“, der Versuch, eine andalusische, wohlig verschwitzte Atmosphäre zu erzeugen, bleibt halbgar trotz heftigstem Mandolineneinsatz. Ansonsten ziehen sie sich auf das zurück, was sie am besten können: Losbrettern, was das Zeug hält, mit Refrains, die noch der unmusikalischste Kunde mitgrölen kann. So gesehen, die örtlichen Beschränkungen akzeptierend, sind sie ehrlicher als all die begeisterten deutschen Ska-Bands, die ihren jamaikanischen Vorbildern nacheifern.

Im Gegensatz zu denen hat man im Plänterwald auch schon immer auf gesunden Lokalpatriotismus und die deutsche Sprache gesetzt. Die holpert zwar hin und wieder ebenso wie ihr Groove, aber die gute Absicht ist unverkennbar, ob nun vor der „Schönen neuen Welt“ gewarnt oder „Unter deutschen Dächern“ der Sturmführer- Großvater in uns entlarvt wird.

Doch meistens bleiben sie kleinteilig und zu Hause: Die Kreuzberger kriegen in „Wir bleiben kühl“ ihr Fett weg, und der Prenzlberg ist auch nicht mehr das, was er mal war, seit „Wiebke & Ludger“ aus dem Wessiland da wohnen. Am besten, soviel ist schon mal klar, ist es immer, wo die eigene Wiege stand, denn „Michele hat es nicht vergessen, wo er einst geboren ist“. Thomas Winkler

Michele Baresi: „Berlin & Pogo“, twah!/EFA