: Bhutto hat noch eine Frist
■ Mißtrauensantrag gegen die pakistanische Premierministerin Benazir Bhutto gescheitert / PPP-Politik hat knappe Mehrheit / Konflikt im Sind Dauerbrenner
Berlin (taz) - Als es Benazir Bhutto vor einem Jahr bei ihrer Wahlkampagne in ein kleines Dorf in der Nähe von Lahore verschlug, wunderte sich dort eine Frau, ob Bibi (Benazir) nach ihrer Wahl das Amt wohl ihrem Mann übertragen werde. Ein Jahr nach ihrer Wahl zur ersten Premierministerin eines islamischen Landes drohte Frau Bhutto gestern, die Regierungsgeschäfte an die konservative Demokratische Islamische Allianz (IDA) zu verlieren. Doch das heterogene Oppositionsbündnis IDA konnte nur 107 der insgesamt 237 Abgeordneten für seinen Mißtrauensantrag gewinnen. Dabei hatten in der vergangenen Woche 14 Abgeordnete der Pakistanischen Volkspartei (PPP) Bhutto die Unterstützung aufgekündigt. Zudem erteilte der wichtigste Koalitionspartner, die Regionalpartei der aus Indien eingewanderten Muslime (MQM), der PPP eine Absage, da Benazir Bhutto nichts gegen die Arbeitslosigkeit im südlichen Sind unternommen hätte. Vor allem in den urbanen Zentren in Karatschi und Hyderabad sind die Urdu sprechenden Mohajirs mit 60 Prozent gegenüber nur 10 Prozent ortsansässiger Sindhis in der Überzahl, fühlen sich jedoch weder in Politik noch Beruf ausreichend repräsentiert und durch die nationalistischen Forderungen der Sindhiminderheit bedroht. Für Sprengstoff in der Achtmillionenmetropole Karatschi sorgen darüber hinaus die etwa 30 Prozent Panjabi und Pashto sprechenden Zuwanderer und Afghanistanflüchtlinge. Allein im vergangenen Jahr sind bei Zusammenstößen zwischen den ethnischen Gruppierungen Hunderte ums Leben gekommen. Bevölkerungswachstum und die ökonomische Stagnation der Provinz sowie der Rücklauf der Arbeitsmigranten aus Saudi Arabien macht die Jobsuche gerade für Jugendliche so gut wie aussichtslos.
Schon unter der Diktatur Zia-ul-Haqs waren die Konflikte im Sind willkommener Vorwand, um Militärs und Kapital im fruchtbaren Punjab zu konzentrieren. Nawaz Sharif, Ministerpräsident dieser bevölkerungsreichsten Provinz, betreibt von dort im Einklang mit den konservativ-religiösen Kräften seine erprobte Schmutzkampagne gegen die Bhutto -Frauen und lancierte auch diesmal die Machtprobe, für die er jedoch den ehemaligen PPP-Mann Mustafa Jatoi ins Parlament schickte. Außer außenpolitischen Erfolgen wie der Rückkehr in den Kreis der Commonwealth-Staaten hat die junge Premierministerin den beiden Herren tatsächlich noch nicht viel entgegenzusetzen. Einer forcierten Privatisierungspolitik, die der Regierung Freiräume für den Ausbau der Infrastruktur verschaffen soll, haben sich Konservative wie Progressive verschrieben. Ohne die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament war Frau Bhutto jedoch nicht einmal in der Lage, eines jener diskriminierenden Gesetze, wie das Zeugenaussagenrecht oder die Hadood -Ordinance, abzuschaffen, mit denen General Zia die Glaubwürdigkeit seiner Islamisierungspolitik propagierte. Im vergangenen Dezember hatte Benazir Bhutto zwar alle unter diesem Gesetz inhaftierten Frauen amnestiert, doch noch immer gilt das Zeugnis einer Frau bei schriftlichen Transaktionen nach der islamischen Rechtsauslegung nur die Hälfte. Noch immer stehen Peitschenhiebe auf Unzucht, das heißt außereheliche Beziehungen, und Steinigung auf Ehebruch. Nach wie vor sind Frauen bei der Verhängung der Höchststrafe unter den genannten Tatbeständen von der Zeugenbank ausgeschlossen, was nicht selten zum Freispruch des Täters und zur Verurteilung des Opfers führte. In einem Land, in dem 81 Prozent der Frauen weder lesen noch schreiben können, mag ein Teil diese Gesetzte nicht der gesellschaftlichen Grundlage entbehren. Noch verkörpert Benazir Bhutto ein Versprechen auf Wandel.
Simone Lenz
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