Bhutan am Beginn der Demokratie: Öko-Idylle mit Glücksversprechen

Einhundert Jahre haben die Könige von Bhutan ihr Land mit strenger Hand absolutistisch regiert und beschützt. Jetzt öffnet sich Bhutan immer mehr dem Westen

Das Königreich Bhutan wählt erstmals eine Nationalversammlung Bild: reuters

Das sonnige Felsplateau ist von Reisfeldern umgeben. Eine Handvoll dreistöckiger, bemalter Holzhäuser verteilt sich über das Tal. In der Ferne ruft jemand laut nach seinen Rindern, in der Nähe dringt das Geräusch eines alten Webstuhls aus einem Bauerngehöft. Dazu pfeift der Wind, hier auf über 2.000 Meter Höhe im Himalaja. Töne und Bilder überlagern sich - als säße man bei meditativer Musik vor dem Hintergrund einer kitschigen Postkarte. Aber in Bhutan erscheint vieles irreal.

Tourismus ist in Bhutan stark reglementiert. Man erreicht das Land mit der einzigen Fluggesellschaft Druk Air von Delhi oder Bangkok oder über die Landgrenze zu Indien. Reisen sind ausschließlich in organisierten Gruppen möglich (der Tagessatz im Land ist auf 220 Dollar festgelegt; damit hält Bhutan Individualtouristen fern). Im Land ist man meist in feinen landestypischen Hotels inkl. Vollpension untergebracht. Sehr freundliche Guides und Fahrer.

Die einzige Bergstraße führt von Westen nach Osten quer durch das Land, alle wichtigen Klöster und Dzongs liegen an der Strecke oder sind mit schönen Wanderungen leicht zu erreichen.

Bhutanreisen zu den Tempelfesten inkl. Sikkim bietet beispielsweise der Spezialist a&e reiseteam (www.ae-reiseteam .de) an; 18 Tage ab 3.890 Euro; auf einer der Studiosus-Touren kann man sogar Bogenschießen lernen; 15 Tage ab Euro 4.415. Neue Wege Reisen (www.neuewege.com) organisiert auch Touren inkl. Nepal-Aufenthalt; 16 Tage ab 3.950 Euro.

An der einsamen Serpentinenstraße gegenüber stehen viele Menschen, obwohl wenig passiert. Mit drei Fingern zieht Tsewang den Pfeil nach hinten, spannt konzentriert den Bogen. „Zisch“ - einhundertzwanzig Meter entfernt trifft der armlange Pfeil genau ins Schwarze einer kleinen Scheibe am Boden. Fünf alte Bhutaner mit vom Betelnusskauen rot gefärbten Zähnen jubilieren, singen das traditionelle Lied des erfolgreichen Schützen. Sie heben die Arme, als seien sie Vögel, drehen sich gemeinsam, auf einem Bein stehend. So will es die Tradition. Nicht Fußball, sondern Bogenschießen ist hier Nationalsport, selbst bei Olympia ist das unbekannte Bhutan vertreten. Aber neben den tief buddhistisch inspirierten Traditionen des Landes ist die Gesellschaft im Wandel: Bhutan hat ein Parlament gewählt.

In Chunphel, einem Weiler in den Wolken, kommt die Demokratie in Gummistiefeln ins Dorf. Dorji schwitzt, er trägt die Wahlkabine auf dem Rücken. Auf blauen Brettern steht gut sichtbar „voting compartment“ - in Englisch und in Dzongka, der Nationalsprache. Ein anderer trägt das große Wahlbuch mit Farbfotos von jedem Wähler, denn Familiennamen gibt es in Bhutan nicht. Der Treck der Wahlkommission ist über wackelige Hängebrücken tagelang unterwegs in Bumthang, einer abgelegenen Region in Zentralbhutan.

Aus einfachen Bauernhäusern, traditionell mit einem großen Phallus und vielen bunten Ornamenten geschmückt, werden sie wie Marsmenschen beäugt. Wie in einer heiligen Prozession schreiten sie feierlich und still über die sanften Hügel. Mit dem Wahltag in Bhutan beginnt eine neue Zeit. So ist auch Dorji, der bald 60-jähriger Bauer mit der Wahlkabine, heute mal Wahlhelfer. Er hat in Bhutan, kaum größer als Niedersachsen, jahrzehntelang ungestört gelebt: hat seine Reisfelder bestellt, seine Rinder durch den Frühnebel des Himalaja geführt, hat drei Kinder groß gezogen. Er hat Butterlampen vor buddhistischen Altären entzündet, in den Klosterburgen den Mönchen bei den farbenprächtigen Tänzen zugeschaut - und einmal hat er mit eigenen Augen sogar den König von Bhutan gesehen, der im Auto an der fernen Straße vorbeikam.

Ein Bild der Königsfamilie hängt über seinem Hausaltar gleich neben dem unverzichtbaren Ofen, dem Mittelpunkt jedes bhutanischen Familienlebens. Heute aber ist ein historischer Tag. Denn „Druk Yul“, das Land des Donnerdrachens, wie es sich selber nennt, katapultiert sich aus dem Mittelalter in die Neuzeit. Und: Der König selbst hat seine absolute Macht eingesetzt, um diese Demokratie einzuführen. Eigentlich gegen den Willen seines Volkes. Ein weltweit einmaliger Vorgang.

Groß ist die Angst, dass jetzt alles schlechter wird, dass es Streit gibt, wie in den Nachbarländern. Alles ist neu. „Für menschliche Werte können wir uns einsetzten, aber für sich selbst zu werben, das ist unbhutanisch“, sagt einer der Wahlkandidaten, der gerade schüchtern von Haus zu Haus geht. Es ist eine Demokratie von oben. Berechtigt ist die Angst vor dem aufgezwungenen Pluralismus allemal, denn ein Jahrhundert lang haben Könige das Land und seine kaum 800.000 Einwohner in einer Erbmonarchie zwar streng kontrolliert, aber auch vergleichsweise gerecht verwaltet.

Bhutan gab sich traditionell verschlossen und bei Innovationen immer vorsichtig - die eigene fragile Kultur musste geschützt werden. Der sanfte Staat greift überall regelnd ein. Manche nennen den König einen „Extremisten des Guten“, der wie ein besorgter Vater hier verbietet und dort beschützt und der den Bürgern und dem Land das Recht auf ungebremste Entwicklung immer wieder vorenthält. Doch so hat Bhutan viele Probleme der Nachbarländer, von Gewalt über Korruption bis zu Aids, bisher erfolgreich verhindern können. Lediglich das ungelöste Minderheitenproblem mit Bhutanern nepalischer Herkunft, die zu Zehntausenden in Lagern an der Grenze leben, ist noch immer ungelöst. Kritiker sprechen von einer Ökodiktatur, die mutig der westlichen Welt des Konsums widerstand: Kein Burger King oder McDonalds, kaum ausländische Investitionen. Mindestens 60 Prozent des Landes müssen laut Verfassung immer bewaldet bleiben, weitere 20 Prozent sind Nationalparks. Die Häuser müssen in bhutanischem Holzbaustil gebaut werden, die Bürger sind angehalten, ihre Nationaltracht statt etwa Jeans zu tragen. Flüsse, Tiere und Berge sind per Dekret streng geschützt, im ganzen Land herrscht Rauchverbot.

In der kleinen „Om-Bar“, dem In-Treff der Jugend in der Hauptstadt Thimphu, wird heimlich geraucht. Hier und da blitzt auch eine Jeans auf, in High Heels stöckeln junge Mädchen fröstelnd über die groben Holzdielen. Im Land ohne Heizungen begrüßen sie sich wie in Paris mit Wangenküsschen - und scharen sich dann um kleine Heizlüfter und trinken bhutanisches „Druk 11000“ Bier. Überall hängen plötzlich Wahlplakate, aber über Politik mag dennoch keiner reden. Man kennt sich schlicht nicht aus. In der dörflich anmutenden Hauptstadt mit kaum 70.000 Einwohnern, wo zwischen dem einzigen Kino und der einzigen Tankstelle noch immer ein Schutzmann mit theaterreifen Gesten den Verkehr regelt, hat sich vieles verändert. Seit ein paar Jahren gibt es Satellitenfernsehen und Handys, sogar Mönche sieht man telefonierend in den jahrhundertealten Klöstern und Dzongs, die von Touristen bei Tempelfesten gern besucht werden.

Punakha, die alte Königsstadt mit einer malerischen weißen Festung, erreicht man nach der Fahrt über den Dochu-la-Pass. Auf über 3.000 Meter Höhe geht der Blick über schneebedeckte Bergriesen an der Grenze zu Tibet. Für die Abfahrt macht der Fahrer sogar den Motor aus - nach einhundert Serpentinen ist man im Tal. Dort wird gerade der Bauernführer Sangay Ngedup mit weißen Glücksschals wie ein König empfangen. Vor ein paar Monaten hat er die „Bhutanische Volkspartei“ gegründet, eine von zwei Gruppierungen, die Regierung und Opposition unter sich ausmachen. Ein paar Bergkuppen weiter spricht vor einem Nomadenzelt Jigme Thinley, der andere große Politiker, leise zu den Anhängern seiner „Harmoniepartei“ DPT. Inhaltlich unterscheidet man sich kaum, beide Parteien wollen erst mal den Spuren des Königs folgen - wer das nicht macht, hat wohl schon verloren. Doch das Volk tut sich mit der Politik generell schwer. „Allein mein Finger wird mich am Wahltag führen“, sagte ein Bauer lächelnd - und dreht dann viel lieber wieder zwei Meter große Gebetsmühlen vor einem jener Tempel, die ihm viel mehr bedeuten als diese neue Idee. Am Wahltag ist alles dann doch überraschend einseitig bei Bhutans erster freier Wahl: Thinley, der Außenpolitiker, gewinnt gegen Ngedup, den Bauernführer, haushoch - ändern wird sich sowieso wenig.

Im Tal von Paro, wo der einzige Flughafen des Landes weithin sichtbar direkt an eine Tempelburg grenzt, bestellen Bauern weiter mit Holzpflügen ihre Felder. Die Dorfbewohner kauen Betelnuss, tragen weiter ihre seidenen, kimonoartigen Mäntel. Willkommen in der Postkartenidylle. Und der König, der sich selbst entmachtet hat, arbeitet weiter an Bhutans vorsichtiger Entwicklung. Bhutan, das immer etwas andere Land, verspricht seit Jahren offiziell, die Zufriedenheit der Bürger per Gesetz in den Mittelpunkt seiner Politik zu stellen. Bruttosozialglück zähle mehr als das Bruttosozialeinkommen. „Gross National Happiness“ hat der weise König verordnet.

Mag die ganze Welt dem Geld hinterherrennen - Bhutan genügt es, am Glück zu arbeiten. Tsewang, der tanzende Bogenschütze aus Bumthang, hat noch ein paarmal getroffen, sein Dorf hat den Wettkampf schließlich gewonnen. Gewählt hat Tsewang übrigens nicht. Dafür hatte er keine Zeit. Er hatte Wichtigeres zu tun: Die Rinder mussten versorgt werden.

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