Bezirksamt: Nackte Machtspielchen
Ab 2010 werden die Bezirksämter nicht mehr im Konsens, sondern von der politischen Mehrheit besetzt. Nun rütteln Teile der SPD an dieser Neuregelung.
Bisher werden die Stadträte im Bezirk nach Proporz vergeben. Das Verhältnisverfahren, das nach dem belgischen Rechtswissenschaftler dHondt benannt ist, sieht vor, dass jede Partei, die in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vertreten ist, auch einen Stadtratsposten erhält. Lediglich der Bezirksbürgermeister wird nach dem Mehrheitsprinzip gewählt. Das politische Bezirksamt hingegen erlaubt Koalitionsabsprachen. Das könnte zur Folge haben, dass eine Partei selbst mit 30 Prozent nicht mehr im Bezirksamt vertreten ist. Das derzeitige Proporzprinzip soll die Lokalpolitiker eigentlich zu einem konstruktiven Konsens bringen. Doch die Praxis sieht oft anders aus: Die politischen Differenzen werden im Bezirksamt ausgefochten; wichtige Entscheidungen bleiben oft auf der Strecke. In einem politischen Bezirksamt könnten die Lokalpolitiker stärker eigene Akzente setzen, müssten dann für ihre Politik aber auch geradestehen.
Ein Relikt der schwarz-roten Koalition wird wieder aufgerollt: Ende der 90er-Jahre hatten sich CDU und SPD darauf geeinigt, dass die Stadträte in den zwölf Bezirken nach Proporz bestimmt werden. Alle Parteien, die es in die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) geschafft haben, sind somit auch im Bezirksamt vertreten. Die CDU war damals für diese Regelung, die SPD wie auch die Oppositionsparteien Grüne, FDP und PDS waren dagegen. Der Kompromiss lautete: Diese Regelung gilt bis 2010. Danach werde es das sogenannte politische Bezirksamt geben.
2010 rückt näher. Doch nun gibt es Stimmen in der SPD-Spitze, die sich gegen das politische Bezirksamt aussprechen. "Die Zeiten ändern sich", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Christian Gaebler. Er persönlich halte das politische Bezirksamt für "nicht mehr sinnvoll".
Beim politischen Bezirksamt werden die fünf Stadtratsposten nicht wie bisher nach Proporz verteilt. Wie auf Landes- und Bundesebene bilden sich nach dem Mehrheitsprinzip Koalitionen. Das wird in der Regel dazu führen, dass eine Partei, obwohl sie 30 Prozent oder mehr der Wählerstimmen auf sich vereint, im Bezirksamt nicht mehr vertreten ist. Sie müsste mit der Oppositionsbank vorlieb nehmen.
Die Befürworter glauben, dass das politische Bezirksamt für mehr Transparenz sorgen und damit die Arbeit der Lokalpolitiker in der öffentlichen Wahrnehmung aufgewertet werde, sagte Gaebler. Es könne aber auch genau das Gegenteil eintreten. Aufgrund der geringen finanziellen Ausstattung in den Bezirken wäre eine öffentlich wahrnehmbare Oppositionsarbeit kaum möglich. Bezirkspolitik läge nur noch in der Hand der regierenden Parteien.
Die CDU war bislang der einzige Gegner des politischen Bezirksamts. Das Anliegen der Konservativen ist klar: Nach den derzeitigen politischen Konstellationen in den BVV wäre die CDU außer vielleicht in Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf in den meisten Bezirksämtern mit keinem Stadtratsposten vertreten. Einige Ostbezirksämter könnten gänzlich von der Linkspartei besetzt werden.
Nun sehen anscheinend auch einige Sozialdemokraten ihre Felle davonschwimmen. Nachdem sich die CDU in Steglitz-Zehlendorf nach den Kommunalwahlen 2006 mit den Grünen verbündet hat, ist Schwarz-Grün auf Bezirksebene plötzlich eine Option. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg, wo die Grünen und die Linkspartei bestens miteinander klarkommen, wäre die SPD im Bezirksamt nicht länger dabei.
Noch gibt es bei den Sozialdemokraten einen Parteitagsbeschluss aus den 90er-Jahren, der das politische Bezirksamt zum Ziel hat. Doch Gaebler ist nicht der Einzige in der SPD, der diesen Beschluss gerne aufheben würde. Auch Landeschef Michael Müller stellte das politische Bezirksamt vor kurzem infrage. Er brachte eine Direktwahl der Bezirksbürgermeister ins Spiel.
Als "pseudodemokratisch" bezeichnet der verwaltungspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Thomas Birk, diesen Vorschlag. Dies würde suggerieren, dass die Bürger mit der Bezirksbürgermeisterwahl auch ein politisches Bezirksamt gewählt haben. Doch tatsächlich bliebe das Bezirksamt ein Allparteiengemisch ohne erkennbares Profil. Ohne politisches Bezirksamt würde ein direkt gewählter Bürgermeister die Arbeit in der Verwaltung noch mehr verkomplizieren, so Birk. Die Grünen sind seit langem vehemente Befürworter des politischen Bezirksamts.
Die SPD hat jetzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die das Für und Wider des politischen Bezirksamts abwägen soll. Bis zum Sommer will sie ein Ergebnis vorlegen. Falls sich Gaebler mit seiner Position tatsächlich durchsetzen sollte, bräuchte die SPD im Abgeordnetenhaus eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Ohne die Stimmen der Linkspartei würde sie die aber nicht bekommen. "Noch sind wir dafür", hatte Landeschef Klaus Lederer im Herbst gesagt. Dieses "noch" interpretieren die Grünen als Zeichen, dass auch die Linkspartei umfallen könnte.
Einig sind sich Grüne, SPD und Linke, dass das politische Bezirksamt nur dann Sinn macht, wenn die finanziellen Mittel deutlich aufgestockt und den Bezirken wieder mehr Kompetenzen übertragen werden. Nur dann könnten die ins Bezirksamt gewählten Lokalpolitiker tatsächlich erkennbare politische Schwerpunkte setzen.
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