Bezirke wollen mehr: Erzwungene Hilflosigkeit

Grüne StadträtInnen beklagen die Konzeptlosigkeit des Berliner Senats bei der Flüchtlingsaufnahme.

Willkommenskultur könnte in der Hauptstadt besser klappen, meinen Berliner Grüne. Foto: DPA

Es klingt fast rührend, wenn StadträtInnen berichten, wie ihre Versuche, Flüchtlingsversorgung zu verbessern, vom Land ausgebremst werden. Wie einfache BürgerInnen werden sie ignoriert, abgeschmettert, vertröstet: So schilderten es am Donnerstag vier grüne BezirkspolitikerInnen gegenüber JournalistInnen in der Landeszentrale ihrer Partei.

Vier Jahre lang habe er dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) ein leeres Gebäude als Flüchtlingsheim angeboten, sagte etwa Stephan von Dassel, Sozialstadtrat in Mitte: Mails und Briefe an Amt, Staatssekretär und Senator blieben ohne Antwort, das Gebäude wurde unterdessen vom Land verkauft. Der neue Besitzer scheiterte mit dem Plan einer Hosteleinrichtung: „Das Haus steht bis heute leer“, so von Dassel.

„Babys werden geboren!“

In Unterkünften lebten immer mehr Flüchtlinge, die vom Lageso noch nicht erfasst wurden, erklärte Sibyll Klotz, Gesundheitsstadträtin in Tempelhof-Schöneberg. Sie haben keinen Anspruch auf Gesundheitsversorgung – aber trotzdem Krankheiten, „auch Babys werden geboren“, so Klotz. Ihre Amtsärzte hätten ein Hilfskonzept entwickelt und kümmerten sich zumindest um die dringendsten Fälle. „Das ist nicht unsere Aufgabe“, findet Klotz: „Natürlich machen wir es trotzdem. Aber das muss organisiert werden.“ Finanziell und personell ausgestattet wird der Bezirk vom Land dafür aber nicht: „Wir haben weder Geld für Babywaagen noch für Medikamente“, beklagte die grüne Bezirksrätin.

Die Bezirke übernähmen bei der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen „gutwillig weit mehr Verantwortung als wir müssten“, so Klotz. Dass sie dafür mehr Geld und Personal fordern, liegt auf der Hand. Doch allein darum geht es den Grünen nicht. Feste Ansprechpartner bei den Landesbehörden, schnelle vereinfachte Entscheidungs- und Organisationsstrukturen fordern die vier.

Derzeit gingen einer Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst 33 Schritte voraus: von der Einbeziehung der Mitbestimmungsgremium bis zur Nachfrage im Stellenpool, erklärte Klotz: „Das dauert ein halbes bis dreiviertel Jahr.“ Wolle ein Bezirk für neues Personal mehr Räume anmieten, müsse er sich das vom Land genehmigen lassen – auch das verzögere Hilfsmaßnahmen, berichtete Bernd Szczepanski, grüner Sozialstadtrat in Neukölln.

„Die Steuerung, das Management funktioniert nicht“, fasste Bettina Jarasch die Klagen zusammen. So weit wie ihre Parteifreundin Canan Bayram, die am Donnerstag im taz-Interview vermutet hatte, dass der Notstand von der zuständigen Senatsverwaltung für Gesundheit „inszeniert“ sei, will die Landesvorsitzende der Grünen aber nicht gehen: „Vielleicht“ sei das Absicht, sagt sie, „vielleicht aber auch nur Unfähigkeit.“

Absicht oder Unfähigkeit

Nicht nur ihre Ohnmacht gegenüber der Landesregierung bremst die Bezirke bei ihren Bemühungen um Flüchtlingsintegration aus. Auch bei den Jobcentern hätten sie gern mehr Mitsprache: Von jenen werden anerkannte Flüchtlinge betreut. Jobcenter, obgleich Kooperationen zwischen Bezirken und der Bundesagentur für Arbeit, folgten allein den Planungsvorgaben der Zentrale in Nürnberg, monierte von Dassel: „Darin kommen die Flüchtlinge noch gar nicht vor.“

Jobcenterpersonal entscheidet auch, welche Wohnungen Flüchtlinge beziehen dürfen. Ist die Miete zu hoch, bleiben sie in Heimen. Die sind aber gut fünfmal teurer. Die Mietkosten zahlen die Bezirke. Auch da sei ihr Einfluss auf die Jobcenter begrenzt, sagte Neuköllns Sozialstadtrat Szczepanski. Er hat mit seiner bezirklichen Jobcenterleitung nun immerhin geregelt, dass „in begründeten Fällen“ vorgeschriebene Miethöhen überschritten werden können. Das spart dem Bezirk Geld und macht Heimplätze frei.

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