: Bezirke wollen die „Stadterneuerung“ retten
■ Baustadträte aller Innenstadtbezirke und aller Parteien kritisieren Senatspolitik / Zuwenig Geld für Modernisierung von Altbauten / Wohnungen stehen deshalb leer
West-Berlin. Vor dem Zusammenbruch der behutsamen Stadterneuerung warnten gestern parteiübergreifend fünf Berliner BaustadträtInnen vor der Presse. „Wir können nur noch absolute Mangelverwaltung machen und in den nächsten drei Jahren überhaupt keine Anträge mehr auf Modernisierung annehmen“, sagte der Neuköllner Baustadtrat Branoner (CDU). In Kreuzberg, Schöneberg, Wedding und Tiergarten sieht es ähnlich aus. Der Grund: Das Abgeordnetenhaus hat, entgegen den Koalitionsvereinbarungen, die Gelder für die öffentlich geförderte Stadterneuerung von 340 auf 320 Millionen für 1990 zusammengestrichen. Für die kommenden Jahre sind nur noch 280 bis 250 Millionen vorgesehen. Gleichzeitig haben Bezirksämter und Senat Hauseigentümer gebeten, Anträge auf Modernisierung zu stellen. Mit den Mietern wurden Termine vereinbart, Wohnungen schon mal leergeräumt, niemand hat das berlinweit koordiniert.
„Wir haben riesige Listen von Eigentümern, die sanieren wollen, das ist jetzt alles hinfällig“, meinte die Kreuzberger Baustadträtin Eichstädt (AL-nah). Und nicht nur das: Tausende von Wohnungen stehen teils bis 1992 leer, weil kein Geld da ist, mit dem Bauen anzufangen, die landeseigenen Häuser, ohnehin meist in schlechtem Zustand, gammeln noch Jahre vor sich hin, die Mieterberatung steht in einigen Bezirken vor dem Konkurs. Mindestens zehn Häuser, so Branoner, werde man allein in Neukölln wohl abreißen müssen, wenn nicht mehr Geld bewilligt wird. Für die betroffenen Mieter heißt das, daß sie entweder in Bruchbuden wohnen bleiben, oder es wird privat und teuer modernisiert. Man sehe ein, daß auch in Ost-Berlin Geld für die Stadterneuerung nötig sei, aber das dürfe nicht auf Kosten der armen Leute in den Sanierungsgebieten gehen, hieß es gestern.
Wie groß die Probleme bei der Stadterneuerung sind, zeigt die ungewöhnliche und einmalige Zusammenarbeit der Bezirke über die Parteigrenzen hinweg. Die Situation ist auch dem Senat bekannt. Im letzten Jahr ließ die Senatsbauverwaltung die Schwerpunkte der Stadterneuerung in einem sogenannten „SEE-Gutachten“ erarbeiten. Demnach sind selbst in nur einigen ausgesuchten Gebieten über 25.000 Wohnungen sanierungsbedürftig. Dieses Gutachten hat aber die schon vom CDU-Senat anvisierten Mittelkürzungen zur Grundlage.
Inzwischen brachte die Abgeordnetenhaus-CDU einen Antrag ein, die Modernisierungsgelder aufzustocken und mittelfristig „realistische Ansätze“ dafür vorzusehen. Eine Umschichtung der Gelder vom Neubau auf die Modernisierung forderte der AL-Abgeordnete Michaelis vergangene Woche. Doch das wollen die Stadträte nicht mittragen. „Neubau muß sein“, meinte auch CDU-Sprecher Müller. Freilich müsse das Geld irgendwo herkommen. Branoner schlug im Konsens mit seinen Kollegen vor, das Eigenkapital, das die Eigentümer aufwenden müssen, zu erhöhen. Das hieße, so Branoner, daß man die Mieten differenzieren und in besseren Wohnlagen erhöhen könne.
esch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen