: Bezirk der Dichter
■ Pankow: Vom slawischen Bauerndorf zum größten Wohnungsbaupotential von Berlin
Pankow. »In Pankow jab's kein Essen, in Pankow jab's kein Bier...« Was Bolle nur zu Pfingsten erleiden mußte, trifft heute in Pankow fast jeden: Im ehemaligen Ausflugs- und Amüsiervorort des Berliner Nordens liegt die Gartenrestaurantkultur der Vorkriegszeit brach. Viele der vornehmen Sommervillen wohlhabender Stadtmenschen, der Tanzhäuser und Biergärten nahe der Breiten Straße sind vergammelt. Die meisten der denkmalgeschützen Bauten von Rosenthal bis Blankenfelde verrotten.
Der Bezirk der Dichter und Künstler — Carl von Ossietzky lebte hier, Johannes R. Becher, der erste Kultusminister der DDR, die Dichter Ernst Busch und Hans Fallada — ist zwar immer noch grün. Aber viele Straßenbäume wirken staubig und verwahrlost. Und das Freibad an der Panke im Bürgerpark wurde von der Mauer zerstört.
Für alteingesessene Westberliner war »Pankoff«, wie Adenauer es nannte, Synonym für das Ulbricht- Regime, das in den 50er Jahren im Pankower Schloß zu Niederschönhausen residierte. Ehemalige Angehörige der SED-Nomenklatura, wie Lotte Ulbricht, leben bis heute im »Städtchen« am Majakowskiring, einer abgeschiedenen Einfamilienhaussiedlung nahe dem Schloß. Heute gehört das — vergleichsweise bescheidene — Schloß, ein ehemaliges gräfliches Landhaus, der Bundesregierung. Der Schloßpark ist nun öffentlich zugänglich. Den Runden Tisch Pankow, der sich nach der Wende im Schloß traf, gibt es nicht mehr, dafür aber 37 Bürgerinitiativen. Pankow, benannt nach dem Flüßchen Panke, wurde 1230 erstmals als slawisches Bauerndorf um den Dorfanger, die spätere Breite Straße erwähnt. Um 1800 wohnten dort erst 286 Menschen. Seit 1850 siedelten die Kossäten, slawische Auswanderer aus dem Osten, in Pankow. Viele Kossätenhöfe wurden später in Ausflugslokale umgewandelt, dann der Bürgerpark angelegt und die Schönholzer Heide als grüne Insel reserviert. Dort befindet sich heute die majestätische Anlage des sowjetischen Ehrenmals, dessen Zukunft ungewiß ist.
1920 wurde Pankow eingemeindet und mit den Dörfern Niederschönhausen, Buchholz, Rosenthal, Blankenfelde, Buch, Wilhelmsruh, Karow, Blankenburg und Heinersdorf zusammengefaßt, wo damals 93.000 Menschen lebten. Die letzten drei Dörfer wurden 1985 dem benachbarten Bezirk Weißensee zugeschlagen. Inzwischen hat Pankow 108.930 Einwohner.
Regiert werden sie von einer ordentlich gewählten Bezirksverordnetenversammlung mit 100 Bezirksverordneten und bis vor kurzen einer Drei-Parteien-Koalition aus SPD, CDU und Bündnis 90. »Wir sind das Bindeglied zwischen SPD und CDU, es ist aber oft schwierig zu vermitteln«, sagt Gabriela Thur, die Geschäftsführerin vom Bündnis 90. Die starke PDS, die kleine FDP und die Grüne Liga sind in der Opposition.
Im Pankower Rathaus, einem Jugendstilbau an der Breiten Straße kriselt es seit Monaten. Im Februar trat der Baustadtrat der SPD, Georg Karolewski zurück, offiziell deshalb, weil er in den 50er Jahren Zuträger der Stasi war, inoffiziell, weil er das Bezirksamt über Baupläne belogen haben soll. Sein Nachfolger ist Rolf Horn vom Bündnis 90. Im März stellte die FDP einen Abwahlantrag gegen den SPD-Bezirksbürgermeister Harald Lüderitz. Ihm wurde ein zu selbstherrlicher politischer Stil sowie zu große Senatsfreundlichkeit vorgeworfen. Nur knapp überstand er diesen Antrag. Bezirksverordnete der Koalitionspartnerinnen CDU und Bündnis 90 und womöglich auch der SPD stimmten gegen Lüderitz. Daraufhin trat die SPD Anfang April aus der Koalition aus und wettert seitdem gegen die ehemaligen Partnerinnen. Die Koalition wird seitdem von Bündnis und CDU weitergeführt, die freilich zusammen keine Mehrheit haben. »Wir müssen im Interesse der Bürger weiter Entscheidungen treffen«, so Frau Thur. Das Bündnis will nach den Wahlen eine Fraktion mit der Grünen Liga bilden.
Entscheidungsbedarf hat Pankow genug. Im Vorort Buch, bekannt durch das größte Klinikum Berlins, sollen einige tausend — später gar Zehntausende — Wohnungen entstehen, das größte Wohnungsbaupotential Berlins. Für Buch und das benachbarte Buchholz beschloß der Senat vergangene Woche den kurzfristigen Bau von zusammen 2.000 Wohnungen.
Schon die SED hatte den alten Dorfkern Buchs zwischen vier großen Plattensiedlungen mit Zehntausenden von Wohnungen zerdrückt, so daß das Vorhaben der Bauverwaltung nicht auf ungeteilte Begeisterung der Anwohner stößt. Auf die Barrikaden treibt viele Bürger außerdem die geplante Überbauung des Nordgrabens von der Reinickendorfer Roedernallee über Grünflächen und Kleingärten bis zum Autobahnanschluß in Blankenfelde mit einer vierspurigen, autobahnähnlichen Stadtstraße, der Nordtangente. Vor allem nervt die Pankower der schleppende Weiterbau der U-Bahn-Linie 2 von der Vinetastraße bis zum S-Bahnhof Pankow sowie die riesige, klaffende Baustelle an der Berliner Straße. Die Fortführung der U-Bahn zur Alten Pfarrkirche bis 1995 wurde im Februar vom Senat beschlossen.
Und schließlich wurden nach der Wende in Pankow Zehntausende von Arbeitsplätzen abgewickelt und in Westhände gegeben: In der »Berliner Zigarettenfabrik« herrscht Kurzarbeit Null. Der größte Betrieb, Bergmann-Borsig in Wilhelmsruh, wurde von dem süddeutschen Elektrokonzern Asea Brown Boveri übernommen. Die stillgelegte Mälzerei an der Mühlenstraße, die Schultheiss gehört, soll privatisiert und zu einem Dienstleistungszentrum umgebaut werden.
Baldigen Ärger wird das Bezirksamt mit seinen Bürgern bekommen, wenn es — wie im Verein mit dem Bausenator geplant — die Stadtmitte von Pankow mit weiteren 1.400 Wohnungen verdichten läßt. Denn dafür soll die bisher ruhige Wolfshagener Straße zur Wollankstraße durchbrochen werden. Grünflächen und ein Spielplatz müßten dem Bauvorhaben weichen, einer Kindertagesstätte würde die sonnige Freifläche genommen. »Bevor das passiert, legen sich die Bürger auf die Straße«, warnt die Pankower Betroffenenvertreterin Claudia Nier. Die Zeiten des »Pankower Regimes« sind vorbei. Eva Schweitzer
Nächsten Freitag: Neukölln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen