Bezahlen in Skandinavien: Renaissance des Bargelds
Skandinavien war auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft. Der Krieg in der Ukraine scheint das zu beenden.
Jetzt scheint ein Umdenken eingesetzt zu haben. Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Untersuchung trugen im Mai 2022 44 Prozent der SchwedInnen wieder Bargeld bei sich. Eine Steigerung um 7 Prozentpunkte seit März 2021. Es sei wohl eine Kombination von Geschehnissen in den letzten Monaten, die zu einem Anstieg des Krisenbewusstseins geführt haben, meint Anna Teljfors von der staatlichen Krisenbereitschaftsbehörde MSB. Die entsprechende Tendenz sei bereits vor dem Krieg in der Ukraine sichtbar gewesen und offenbar auch dadurch ausgelöst worden, dass sich in kurzer Zeit gleich mehrfach die Anfälligkeit der digitalen Infrastruktur gezeigt habe.
Zum Beispiel hatte im vergangenen Sommer ein Hackerangriff die Bezahlsysteme gleich mehrerer Ladenketten bis zu eine Woche lang lahmgelegt. Alle paar Wochen müssen einzelne Banken melden, dass ihre Kreditkarten oder digitalen Bezahlsysteme zeitweise ausgefallen sind. Erst am Samstag waren bei den KundInnen der größten schwedischen Bank wegen einer „Störung“ erneut sechs Stunden lang keine Transaktionen über die Bezahl-App „Swish“ möglich. Und kommt es zu Stromausfällen, läuft sowieso gar nichts mehr.
Da man offenbar davon ausgeht, dass viele Menschen mittlerweile den Umgang mit Bargeld verlernt haben, sendete das öffentlich-rechtliche Fernsehen kürzlich eine Anleitung: „So kommst du an 2.000 Kronen“. Und demonstrierte, wie man es anstellt, Banknoten in den passenden Werten aus dem Geldautomaten zu erhalten oder sich einzuwechseln.
Einige halten Bargeld für unverzichtbar
Bei der finnischen Zentralbank sieht man einen ähnlichen Bargeld-Trend, sagt Kari Takala, der dortige Abteilungsleiter für Bezahlsysteme. In der Grenzregion zu Russland sei sie fast doppelt so hoch wie beispielsweise in Helsinki. In einer Umfrage erklärte ein Drittel der FinnInnen, dass sie nun mehr Bargeld zu Hause hätten als vor Beginn des Kriegs. In Schweden war zu Anfang des Kriegs eine ähnliche Tendenz zu beobachten.
So ein vorübergehender Denkanstoß sei aber nicht ausreichend, um den Zugang zu Bargeld wirklich auf Dauer zu sichern, sagt Anna Telfjors von MSB: „Aus demokratischer Sicht ist es wichtig, dass Bargeld erhalten bleibt, es ist die einzige Zahlungsmöglichkeit, zu der jeder Zugang hat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden