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■ BewegungsmelderDie BVG wäscht weniger weiß

Virtuelle Realitäten gibt es nicht. Das Begriffspaar klingt nicht nur wie ein Widerspruch in sich, es ist auch einer. Niemand bekommt das deutlicher zu spüren als die Werbebranche: Ein Produkt, das es nicht gibt, läßt sich selbst mit dem flottesten Spruch nicht verkaufen. Wäre es anders, dann gäbe es diese Kolumne nicht. Schließlich hat der taz-Verlag das Geld für die neuen Berlin-Seiten nicht deshalb springen lassen, weil er den lieben Lesern eine Freude machen will. Er hat es getan, um damit Werbung machen und neue Abonnenten fischen zu können. „Verkaufsargument“ nennt man das.

Viele Firmen haben das zum Ärger der Agenturen noch nicht kapiert. Nicht wenige Unternehmer glauben, sie müßten bloß ein paar Mark für Werbung investieren – und schon sind all jene Kunden wieder da, die zuvor in Scharen davonliefen. Seriöse Werbegurus raten da zur Ehrlichkeit: Schwächen verzeiht der Kunde am ehesten, wenn der Verkäufer sie offen anspricht.

Die Berliner Agentur Scholz & Friends ist ohne Zweifel seriös, und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind ohne Zweifel marode. Beide haben jetzt zusammengefunden, und das Ergebnis ist von entwaffnender Offenheit. „Neun von zehn Bussen kommen pünktlich. Das wollen wir ändern“, müssen die Berliner jetzt auf Plakatwänden lesen – und die gebeutelten Kunden glauben es sofort. Daß bei den hauptstädtischen Verkehrsbetrieben alles unentwegt schlechter wird, erfahren sie schließlich seit Jahren.

Die BVG selbst schien der Erkenntnis schon seit einiger Zeit nicht mehr verschlossen. Jedenfalls hat sie die Aufkleber, die einst „schnelle Verbindungen für eine schnelle Stadt“ versprachen, längst entfernt. Bei diesem Slogan stimmte auch die zweite Hälfte nicht – wie jeder weiß, der in Berlin einmal einen Personalausweis oder ein Telefon wollte. Aber dafür kann ja die BVG nichts.

Peinlicher wird es schon, wenn die BVG die eigene Langsamkeit auch noch exakt mißt. „Zoo– Alexanderplatz in 20 Minuten“, wirbt sie auf ihren U-Bahnen. Was sie dabei übersah: Die konkurrierende S-Bahn schafft diese Strecke in nur 13 Minuten. Schade, daß die BVG kein Waschmittel verkauft. Dann könnte sie behaupten, „weniger weiß“ zu waschen.

Nicht so sehr dürfte es die Fahrgäste stören, daß immer weniger Stationen mit einem Zugabfertiger besetzt sind, der in preußischem Kasernenhofton brüllt: „Beeilung, hab' ick jesacht!“ Aber muß der Verkehrsbetrieb mit dieser Sparmaßnahme auch noch werben? „Wir sind jetzt ganz aus dem Häuschen“, verrieten Plakate, die ein leeres Abfertigerkabuff zeigten.

Dieselben Fahrgäste dürften einen weiteren Slogan als schlichte Drohung empfinden. „Unser Navigationssystem heißt Eberhard Schmid und fährt den 100er Bus“, heißt es dort. Schmid gewann in einem Wettbewerb des Boulevardblatts B.Z. den zweiten Preis. Gewiß, alles ist steigerungsfähig. Für Ingo Kube, Gewinner des ersten Preises und gewöhnlich als dauertalkender Chauffeur auf der Touristenlinie 100 anzutreffen, sind Leute, die bei Rot über die Straße gehen, schlicht „Organspender“. Doch einen Trost hat Kube seinen Fahrgästen anzubieten: „Hinter uns fährt noch ein 100er. Wer die Schnauze voll hat, kann ruhig umsteigen.“ Ralph Bollmann

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