Bewährung für Ex-RAF-Terroristen: Politiker streiten über Klars Freilassung
Ex-FDP-Minister Gerhard Baum findet das Urteil "korrekt", Bayerns Innenminister Joachim Herrmann poltert. Und Theaterintendant Claus Peymann ist voller Vorfreude.
BERLIN taz Jetzt erst mal ab ins Theater. Das wäre für Christian Klar schließlich schon vor drei Jahren möglich gewesen. Um ihn so richtig zu resozialisieren, hatte der Intendant des Berliner Ensembles (BE), Claus Peymann, dem Ex-RAF-Terroristen damals angeboten, in seinem Haus ein Praktikum zu absolvieren.
Und siehe da: Die Offerte gilt noch. Peymann stehe zu seinem Wort, sagte eine Sprecherin des Theaters am Montag. Und: "Wir gehen davon aus, dass Christian Klar nach seiner Haftentlassung den ihm vor einigen Jahren auf seine Anfrage hin angebotenen Praktikumsplatz in der Technik des BE antreten wird."
Auch das Oberlandesgericht Stuttgart scheint Klar keine Steine in den Weg legen zu wollen. Der Verurteilte werde zwar einem Bewährungshelfer unterstellt und müsse "Weisungen zur Meldung des Wohnsitzes und der Arbeitsstelle" befolgen. Aber wie genau er sein Geld verdiene und wo er wohne, könne er frei entscheiden, stellte eine Gerichtssprecherin klar: "Alles muss eben nur aktenkundig sein."
Das sieht auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) so. "Ganz normal" sei die Auflage, sagte er der taz. Das Gericht werde Klar sicher nicht vorschreiben, welchen Job er künftig verrichten darf und welchen nicht. Im Übrigen sei der Beschluss, den früheren Terroristen nach 26 Jahren zu entlassen, sehr zu begrüßen. "Das ist eine völlig korrekte Entscheidung", sagte Baum. "Das ist die Normalität des Strafvollzugs. Sie muss auch für Terroristen gelten." Er selbst bedauere zwar, dass der 56-Jährige sich nicht von seinen eigenen Taten distanziert habe. Fehlende Reue, so Baum, dürfe jedoch niemals Grund sein, Verurteilte auch über die Mindesthaftzeit hinaus einzusperren: "Reue ist kein Kriterium - auch wenn das viele Leute stören wird."
So wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zum Beispiel. "Solange Christian Klar kein Mitleid mit seinen Opfern und deren Familien hat, verdient er auch selbst kein Mitleid", sagte Herrmann am Montag. Kein Verständnis hatte auch der Kopilot der 1977 entführten Lufthansa-Maschine "Landshut", Jürgen Vietor. Vietor gab sein Bundesverdienstkreuz zurück. Klars Freilassung verhöhne "alle Opfer der RAF, seien sie tot oder noch am Leben", zitierte die Bild aus einem Brief Vietors an Bundespräsident Horst Köhler.
Einer, der in den letzten Jahren immer an vorderster Front war, wenn es darum ging, vor einer Entlassung oder gar Begnadigung von RAF-Terroristen zu warnen, zeigte sich dagegen überraschend zurückhaltend: CSU-Justizpolitiker Norbert Geis. Der Bundestagsabgeordnete sagte der taz: "Ich hätte mir auch ein anderes Urteil vorstellen können." Wenn jemand in der Haft nicht zur Erkenntnis gelange, anderen Menschen Unrecht getan zu haben, könne man den Strafvollzug auch verlängern. Aber weil jetzt ja ohnehin nichts mehr zu ändern ist, beließ es Geis bei der sanften Kritik. Selbst zu Peymanns Praktikumsangebot äußerte sich der CSU-Mann verständnisvoll: "Wenn das eine Möglichkeit zur Resozialisierung ist, habe ich nichts dagegen einzuwenden." VEIT MEDICK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin