Betrugsvorwürfe gegen Ex-Radprofi: Ermittlungen im Fall Ullrich gestoppt
Gegen Ex-Radprofi Jan Ullrich wird keine Anklage wegen Betrugs an seinem früheren Arbeitgeber T-Mobile erhoben. Einen sechsstelligen Betrag muss er trotzdem zahlen.
BONN ap/dpa/taz Die Bonner Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen Ex-Rad-Profi Jan Ullrich wegen "Täuschung und Betruges zum Nachteil seiner Arbeitgeber" eingestellt. Das teilte die Anklagebehörde am Montag mit. Mit der Einstellung sind für Ullrich demnach eine Reihe von Auflagen verbunden, darunter die Zahlung einer sechsstelligen Geldsumme an gemeinnützige Institutionen und die Staatskasse. Mit der Freigabe aussagekräftiger Ermittlungsakten, die von der Schweizer Polizei in Ullrichs Wohnhaus in Scherzingen sichergestellt worden waren, hat der Exradler einen weiteren hohen Preis für das Ende der Ermittlungen gezahlt. Der Toursieger des Jahres 1997 gilt damit als nicht vorbestraft.
2002: Ullrich wird im Mai nach nur einem Saisonrennen am Knie operiert. Am 1. Mai begeht er unter Alkoholeinfluss Fahrerflucht in seinem Porsche. In der Rehabilitation nach seiner Operation wird er am 12. Juni positiv auf Amphetamin getestet und gesperrt. Er spricht von "zwei Tabletten, die mir jemand in der Disco gab". Das Team Telekom kündigt seinen Vertrag. 2003: Im Winter wechselt Ullrich zum Team Coast. Nach Ablauf seiner Dopingsperre gewinnt er am 21. April bei "Rund um Köln" sein erstes Rennen seit Oktober 2001. Am 8. Mai wird sein Team vom Weltverband UCI gesperrt. Er verlässt Coast und unterschreibt bei Bianchi. Bei der Tour wird Ullrich zum fünften Mal Zweiter - nur 61 Sekunden hinter Dauersieger Lance Armstrong. Er verlässt Bianchi und schließt sich wieder dem Bonner Team an, das inzwischen unter T-Mobile firmiert. Später verklagt er den ehemalige Coast-Chef Günther Dahms auf Zahlung angeblich fehlender Gehälter. Dahms will nicht zahlen. Sein Argument: "Der war doch damals schon gedopt." 2006: Einen Tag vor dem Prolog der Tour am 30. Juni werden Ullrich, Oscar Sevilla und sein Betreuer Rudy Pevenage vom T-Mobile-Team wegen vermuteter Verstrickung in die Dopingaffäre Fuentes suspendiert. Drei Wochen später einigt er sich mit seinem Arbeitgeber auf Auflösung des Vertrages. Ende Juli leitet die Staatsanwaltschaft Bonn nach Anzeige der Rechtsprofessorin Britta Bannenberg Ermittlungen gegen Ullrich wegen Betruges zum Nachteil von T-Mobile ein. 2007: Ullrich gibt auf einer bizarren Pressekonferenz am 26. Februar in Hamburg seinen Rücktritt bekannt. Die Staatsanwaltschaft Bonn weist ihm anhand von positiven DNA-Analysen und registrierten Kontobewegungen zumindest Kontakt zu Fuentes nach. Sein Exmasseur Jeff Dhont erhebt weitere Doping-Beschuldigungen, genau wie der Antidopingaktivist Werner Franke, den Ullrich verklagt 2008: Der Bericht der Kommission, der die Vorfälle an der Freiburger Uni-Klinik untersucht, stellt Verbindungen zwischen manipulierten Blutdoping-Akten und Ullrich her. Franke lehnt ein Vergleichsangebot der Ullrich-Anwälte ab, sodass der Prozess in Hamburg weitergeht.
Zur Begründung erklärte die Staatsanwaltschaft unter anderem, Ullrich sei durch die Ermittlungen gezwungen gewesen, seine Radsportkarriere zu beenden. Neben dem Verlust seines überwiegenden Lebensinhaltes habe er auch gravierende finanzielle Einbußen erlitten. Ullrichs Ruf als Sportler sei stark beschädigt, und er habe einen hohen Ansehensverlust in der Bevölkerung erlitten. Das Verfahren war eingeleitet worden, nachdem die Bielefelder Rechtsprofessorin Britta Bannenberg im Juli 2006 Strafanzeige gegen Ullrich gestellt hatte.
Dessen Behauptung, "er habe niemanden betrogen", habe "den strafrechtlichen Vorwurf nicht entkräften" können, doch sei die "kriminelle Energie des Beschuldigten letztlich als eher gering zu bewerten", so steht es in der am Montag von der Staatsanwaltschaft verbreiteten Erklärung. Im Tatzeitraum sei das Doping im Radsport offenbar so verbreitet gewesen, dass die Hemmschwelle zur Anwendung leistungsstärkender Mittel herabgesetzt gewesen sei. Dies hätten die Erkenntnisse während des Ermittlungsverfahrens ergeben, unter anderem die Geständnisse zahlreicher anderer Radsportler. Der zuständige Staatsanwalt Fred Apostel ist sich ganz sicher: "Unsere Ermittlungen über 21 Monate haben ergeben: Ullrich hat gedopt."
Mit der Freigabe der Unterlagen aus seiner Villa habe Ullrich den Ermittlungsbehörden Zugriff auf wichtige Beweismittel verschafft. Die können für weitere Ermittlungen im Bereich Doping "von erheblicher Bedeutung" sein. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Focus belegen die Papiere und E-Mails, dass die Team-Leitung des inzwischen aufgelösten T-Mobile-Rennstalls in die Doping-Praktiken verwickelt gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft erklärte zur Verfahrenseinstellung weiter, mit den Geschädigten sei weitreichender Rechtsfrieden in Bezug auf mögliche zivilrechtliche Ansprüche hergestellt. Vom Hauptgeschädigten, dem Sponsor T-Mobile, würden keine Ansprüche mehr geltend gemacht, man habe frühzeitig einen umfassenden Vergleich geschlossen. Gegenüber seinem früheren Rennstall Team Coast habe Ullrich auf Forderungen in siebenstelliger Höhe aus einem Fahrervertrag verzichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Kurdische Gebiete unter Beschuss
Stoppt die Angriffe Erdoğans auf die Kurden in Syrien!