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BetrugsverdachtHerr Öztürk schweigt

Unter Betrugsverdacht stehende Bremerhavener Vereine haben auch mehrere Zusatzleistungen und Fördergelder kassiert.

Wenn man zu nah ran kommt, stinkts: Bremerhaven von oben (Ausschnitt) Foto: Klaus Wolschner/taz

BREMEN taz | Vier Förderer nennt der Bremerhavener Verein „Agentur für Beschäftigung und Integration“ (ABI), dem gemeinsam mit der „Gesellschaft für Familien und Gender Mainstreaming“ massiver Sozialbetrug vorgeworfen wird, auf seiner mittlerweile gelöschten Homepage. Einer davon, der Paritätische Wohlfahrtsverband, sagte in der vergangenen Woche, er habe den Verein bereits im letzten Jahr ausgeschlossen. Und nun teilt ein weiterer angeblicher Förderer, nämlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit: Diesen Verein haben wir nie unterstützt.

„Wir haben“, sagt das BAMF auf Nachfrage der taz, „unser Justiziariat bezüglich der Verlinkung auf unsere Homepage informiert.“ Ebenfalls verlinkt ist, wenn auch nicht unter den angeblichen Geldgebern, die Existenzgründungsinitiative „B.E.G.I.N.“ – und auch die sagt, sie habe nichts mit dem Verein zu tun gehabt.

Wie viel und ob der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Patrick Öztürk, ehemaliges Vorstandsmitglied der unter Betrugsverdacht stehenden Vereine und Sohn des Vereinsvorsitzenden, von den Machenschaften wusste, ist noch immer nicht geklärt: Stumm verfolgte er die gestrige Landtagsdebatte zum Thema und die Aufforderung von CDU und FDP, eine Erklärung abzugeben. Zuvor hatte er der SPD-Fraktion mitgeteilt, er wisse nichts von möglichen kriminellen Machenschaften, in die sein Vater verstrickt sein solle. In der Bürgerschaft schwieg er.

Die Bremerhavener Vereine sollen rund 1.000 Scheinarbeitsverhältnisse mit bulgarischen und griechischen ArbeitnehmerInnen geschlossen haben, um unrechtmäßige Ansprüche auf Sozialleistungen zu generieren – und sie haben den Wahlkampf von Patrick Öztürk unterstützt.

Der musste für seine eigenwillige WählerInnen-Akquise bereits eine Rüge durch den SPD-Unterbezirk Bremerhaven einstecken: Öztürk habe, sagte die SPD-Abgeordnete Sybille Böschen gegenüber der taz, gegen ein parteiinternes Fairness-Abkommen verstoßen, indem er nicht nur Wahlkampf-Material aus der SPD-Zentrale, sondern auch – trotz der Aufforderung, dies zu unterlassen – eigene Flyer verteilt habe, in Form eines Stimmzettels, auf dem nur sein Name stand. Produziert hatten ihn die Vereine seines Vaters.

Die haben fleißig öffentliche Gelder eingestrichen: Aus dem Stadtteilentwicklungsprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ (WIN) gab es, so teilt ein Sprecher des Bremerhavener Magistrats mit, „3.000 Euro für das Projekt „Ausstattung Büro“, 3.600 Euro für das Projekt „Frühstückskaffee und Treffpunkt für Frauen“ sowie 1.000 Euro für das Projekt „Erziehungskompetenz für Alleinerziehende Männer“.

Seit 2013 seien außerdem durch das Sozialamt 23.396 Euro gezahlt worden für Leistungen, die Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben ihrem monatlichen Regelbedarf für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bewilligt werden.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die LeistungsbezieherInnen von ihrem Geld monatlich einen Teil an den Geschäftsführer des Vereins abgeben mussten. 180 Verfahren sind inzwischen eingeleitet, 1.350 Fallakten werden untersucht.

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