piwik no script img

Betrug bei WohnungssucheMieten, kaufen, verzweifeln

Der Wohnraum in Deutschland ist knapp. Das nutzen Betrüger aus und fälschen Wohnungsanzeigen. Die Anzahl an Betrugsfällen nimmt drastisch zu.

Bei einer Massenbesichtigung in Berlin ist warten angesagt – doch nicht nur dort ist der Wohnraum knapp Foto: Christian Jungeblodt

Wer schon einmal auf Wohnungssuche war, kennt das Gefühl der Frustration. Stundenlanges Scrollen auf Immobilienportalen, Dutzende Mails, Massenbesichtigungen, und am Ende heißt es: „Wir haben uns für jemand anderen entschieden.“

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie angespannt die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist. In Deutschland fehlen laut einer Studie des Pestel-Instituts aus dem Jahr 2023 rund 700.000 Wohnungen. Das Forschungsinstitut beschäftigt sich unter anderem mit Berechnungen zum Wohnungsmarkt für Kommunen, Unternehmen und Verbände.

Das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, wurde 2023 bereits spektakulär verfehlt: Lediglich 295.000 neue Wohnungen entstanden Kein Wunder also, dass laut einer Befragung der Immobilienplattform Immoscout24 je­de:r zweite Wohnungssuchende über ein Jahr mit der Suche verbringt.

Diese Situation nutzen Be­trü­ge­r:in­nen immer häufiger aus. Karolina Wojtal, Co-Leiterin und Pressesprecherin des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland (EVZ), sagt: „Wir gehen davon aus, dass jährlich Zehntausende Menschen Opfer von Betrug auf dem Wohnungsmarkt werden.“ Die Betrugsmaschen sind vielfältig. Be­trü­ge­r:in­nen geben sich etwa als Ver­mie­te­r:in­nen aus und verlangen Kaution in Vorkasse, versprechen Mie­te­r:in­nen ein Sonderkaufrecht gegen Gebühren oder drängen sie dazu, ein Kautionskonto anzulegen, über das sie die volle Kontrolle haben. Wohnungssuchende werden um hohe Geldsummen betrogen – teilweise geht es auch um Identitätsdiebstahl.

LKA schlägt Alarm

Karolina Wojtal sagt, durch die steigende Beliebtheit von Immobilienplattformen habe sich das Problem verstetigt. Doch die eigentliche Ursache sei, dass Ver­brau­che­r:in­nen immer schwerer an bezahlbaren Wohnraum kämen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden Betrugsdelikte auf dem Wohnungsmarkt nicht erfasst, auch ein Großteil der Landeskriminalämter (LKA) untersucht den Straftatbestand bisher nicht gesondert.

Trotzdem vermelden nahezu alle LKAs auf taz-Anfrage: Die Problematik spitze sich zu. So schreibt etwa das LKA Rheinland-Pfalz, dass „in den letzten Jahren analog zur gestiegenen Problematik des,umkämpften' Immobilienmarktes vermehrt entsprechende Betrugsfälle registriert wurden.“

Auch Sebastian Rodriguez weiß vom umkämpften Immobilienmarkt zu berichten. Der 48-Jährige ist groß und kräftig, trägt einen Dreitagebart, Kaki-Hosen und ein weißes Long­sleeve. Er spricht schnell, aber entspannt.

Der freiberufliche Pianist ist in Buenos Aires geboren und lebt seit über 30 Jahren in Nordrhein-Westfalen. Mehr als drei Monate war Rodriguez im vergangenen Jahr im Kölner Umland auf Wohnungssuche. Aus privaten Gründen hatte er seine vorherige Wohnung schnell verlassen müssen. Rodriguez schlief auf Sofas von Bekannten und Freunden.

Belastende Suche

Neben seiner Arbeit als Pia­nist habe er täglich mehrere Stunden auf Portalen wie Immoscout24, Immowelt oder kleinanzeigen.de verbracht, um sich eine neue Bleibe zu suchen, erzählt er. „Das war wie ein Job neben meinem richtigen Job“, sagt Rodriguez – eine massive zusätzliche Belastung für den Musiker. Bis er Anfang 2023 eine Mail bekommen habe: eine Einladung zur Wohnungsbesichtigung in Kerpen, einer Kleinstadt rund 30 Autominuten von Köln entfernt.

„Die Monate vorher waren kräftezehrend“, erzählt er. Endlich habe er ein wenig aufatmen können. „Ich habe zwar viele Freunde, bei denen ich schlafen konnte, trotzdem konnte ich irgendwann nicht mehr.“

Mit seiner Situation ist er nicht allein. „Oft befinden sich Wohnungssuchende in äußerst prekären Situationen“, sagt ­EVZ-Sprecherin Wojtal. Besonders Studierende, Be­rufs­ein­stei­ge­r:in­nen oder Menschen mit wenig Orts- oder Sprach­kenntnis stünden unter Druck, schnell eine Wohnung zu finden. Diese Dringlichkeit führe dazu, dass sie anfälliger wären, Opfer von Betrug zu werden. „Das ­Privileg zehn Tage in Ruhe und gemeinsam mit einem Makler eine Wohnung zu suchen, haben die Wenigsten“, sagt Wojtal.

Der Kontakt mit dem vermeintlichen Vermieter, erzählt Rodriguez, sei professionell und unkompliziert abgelaufen. Das Einzige, was ihm aufgefallen sei: Der Mann, der sich „Lars Lundin“ genannt habe, antwortete oft nachts auf Mails. Die leisen Zweifel von Rodriguez räumte „Lars Lundin“ bei der Besichtigung der kleinen, frisch renovierten Wohnung in Kerpen aus.

Seriöser Anschein

„Lundin“, den Rodriguez als großen Anzugträger mit blonden Haaren und schwedischen Akzent beschreibt, sei überaus freundlich gewesen und habe seriös gewirkt. „Er hat mir erzählt, er sei Ingenieur für Solaranlagen, komme aus Schweden, habe Kinder und wolle mit seiner Familie zurück in seine Heimat.“ Bei der Besichtigung habe eine entspannte Plauderatmosphäre geherrscht.

Die Landeskriminalämter warnen vor genau dieser gespielten Seriosität. So schreibt etwa das LKA Bremen: „Wenn hervorgehoben wird, dass der Vermieter einen angesehenen Beruf ausübt […], seien Sie skeptisch. Es könnte dazu dienen, Vertrauen aufzubauen.“ Gleichzeitig, so das LKA Bremen, sei auch vor dem Gegenteil Vorsicht geboten: Wenn Inserate Rechtschreib- und Grammatikfehler enthielten, sei das ein Indiz für die mögliche Fälschung der Anzeige.

Sollten Wohnungssuchende also misstrauisch werden, wenn der vermeintliche Vermieter nicht seriös genug wirkt? Oder eben zu seriös? Wojtal betont, wie schwierig es geworden sei, sich vor Betrug auf dem Wohnungsmarkt zu schützen: „Die Tipps, die wir Ver­brau­che­r:in­nen noch vor einigen Jahren gegeben haben, sind inzwischen Schall und Rauch.“ Die Qualität von Fake-Anzeigen sei massiv gestiegen, außerdem würden sich die Tä­te­r:in­nen immer mehr Mühe geben, einen vertrauensvollen Eindruck zu erwecken.

Sebastian Rodriguez bekam, wie er berichtet, noch vor der Besichtigung, eine weitere Mail von „Lars Lundin“ zugesandt. Darin enthalten waren Details zur Wohnung und ein Airbnb-Link – der sich später als Duplikat der echten Website herausstellte. Die Bilder der Wohnung, die Rodriguez über den Link abrufen konnte, zeigten gemütlich eingerichtete Zimmer und einen Grundriss. Sogar ein Bild von seinem Ausweis schickte „Lars Lundin“ mit – ebenfalls gefälscht, wie später klar wird. Auf Rodriguez wirkten Link und Bilder unbedenklich.

Vertragsabwicklung über Airbnb

Er erzählt, er sei überrascht, aber vor allem extrem erleichtert gewesen, als ihm die 1,5- Zimmer-Wohnung direkt nach der Besichtigung angeboten worden sei, ohne einen Gehaltsnachweis vorweisen zu müssen. „Als selbstständiger Musiker ist es manchmal nicht leicht, ein regelmäßiges Einkommen nachzuweisen“, sagt er.

Der vermeintliche Vermieter habe gesagt, dass die Vertragsabwicklung über Airbnb laufe und Rodriguez die Kaution in Höhe von 1.300 Euro sowie eine Monatsmiete in Höhe von 450 Euro überweisen solle, um den Schlüssel zugesandt zu bekommen. Die Miete, erzählt Rodriguez, sei zwar vergleichsweise günstig gewesen. Aber nicht so niedrig, dass er misstrauisch geworden wäre.

Karolina Wojtal erklärt, dass es inzwischen keine besonders preiswerten Angebote mehr brauche, um Ver­brau­che­r:in­nen zu einer Vertragsunterzeichnung zu bringen. Durch den akuten Mangel an bezahlbarem Wohnraum reiche allein die Verfügbarkeit einer Wohnung aus, um Wohnungssuchende zu Betrugsopfern zu machen. Am Tag nach der Besichtigung, erzählt Sebastian Rodriguez, sei er zur Bank gegangen und habe 1.750 Euro auf ein italienisches Konto überwiesen.

„Noch am selben Abend habe ich ein komisches Gefühl bekommen und bei der Bank angerufen, um die Überweisung zu stoppen. Doch es war zu spät.“ Das Geld sei weg gewesen, „Lars Lundin“ auch – ein Schlüssel kam nie bei Rodriguez an. Auch eine Anzeige bei der Polizei blieb ohne Ergebnis. „Zu der Zeit hatte ich viele Aufträge, habe Konzerte gespielt und unterrichtet“, sagt Rodriguez.

Plattformen überprüfen Anzeigen nicht

So habe der Betrug keine existenzielle Bedrohung dargestellt. EVZ-Sprecherin Wojtal sagt, es sei wichtig, Ver­brau­che­r:in­nen darüber zu informieren, dass Plattformen die Annoncen, die auf ihnen geschaltet würden, nicht auf Echtheit prüften. Um den Be­trü­ge­r:in­nen etwas entgegenzusetzen, sei es außerdem denkbar, Do­main­in­ha­be­r:in­nen genauer zu kontrollieren. Gleichzeitig bleibt das Grundproblem bestehen: In Deutschland gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum.

Sebastian Rodriguez hatte Glück: Nur wenige Wochen nachdem er Opfer des Betruges wurde, hat er eine Wohnung gefunden – über den Kontakt eines Kollegen. Jetzt lebt er in Düren, ebenfalls nahe Köln. „Ich hoffe, dass ich nie wieder ausziehen muss“, sagt er. Die Belastung, die die Wohnungssuche mit sich bringe, wolle er nicht noch einmal auf sich nehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!