: Betriebsrat darf weiter die Fahne schwingen
■ Gewerkschafter freigesprochen, der am 1. Mai 1993 gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen FAP demonstrierte / Schläge auf Polizisten lösten sich in Luft auf
Über mangelnde Solidarität seiner Kollegen kann sich der 43jährige BMW-Betriebsrat Hans Köbrich wahrlich nicht beklagen. Der ehrenamtliche IG-Metall-Funktionär mußte sich gestern wegen des Vorwurfs vor dem Amtsgericht verantworten, am 1. Mai 1993 bei einer Gegendemonstration gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen FAP Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet zu haben. Womit weder Köbrich noch seine zahlreich als Zuschauer erschienenen Freunde und Kollegen gerechnet hatten: der Prozeß endete gestern mit einem Freispruch. Die Anklage war im Verlaufe der Beweisaufnahme so in sich zusammengebrochen, daß sogar Oberstaatsanwalt Carlo Weber zum Schluß auf Freispruch plädierte.
Daß sich ein Gewerkschaftsmitglied wegen eines Vorfalls am 1. Mai vor Gericht verantworten muß, kommt nicht alle Tage vor. Normalerweise geht es in 1.-Mai- Verfahren um die übliche Kreuzberger Randale. Nicht so gestern. Der 43jährige Hans Köbrich hatte an dem Arbeiterkampftag, wie es sich für einen engagierten Gewerkschaftsfunktionär gehört, an der großen DGB-Demonstration teilgenommen. Vor Gericht erzählte er gestern, daß er bei der Abschlußkundgebung im Lustgarten von dem Aufmarsch der „neofaschistischen FAP“ in Lichtenberg erfahren habe. Er habe sich sofort mit dreißig bis vierzig Kollegen auf den Weg dahin gemacht. Spätestens seit den Pogromen in Rostock nehme er die neofaschistische Gefahr sehr ernst und halte Proteste gegen diese Gruppen für unverzichtbar, so Köbrich. In Lichtenberg hatte eine Hundertschaft von Polizeibeamten eine Kette zwischen den Gewerkschaftern und den rund hundert Anhängern der FAP gebildet und versucht, die Gegendemonstranten abzudrängen. Köbrich, so die Anklage, soll jedoch versucht haben, die Absperrung zu durchbrechen. Danach soll er einem Beamten, der ihn verfolgte, mit einer Fahnenstange auf den Kopf geschlagen und sich seiner Festnahme mit Tritten und Schlägen widersetzt haben. Köbrich bestritt dies entschieden.
Auf welch tönernen Füßen die Anklage stand, zeigte sich bereits bei der Vernehmung des ersten Polizeizeugen. Von seiner früheren Aussage, Köbrich habe ihm die Fahne auf den Kopf geschlagen, wollte der Mann plötzlich nichts mehr wissen. Er könne „nicht einordnen“, ob ihn die Fahne absichtlich getroffen habe oder nicht, räumte der Zeuge überraschend ein. Seine beiden Kollegen widersprachen sich bei der Frage, ob und wie sich der IG-Metaller bei der Festnahme verhalten habe. Während der eine von Fußtritten berichtete, beschrieb der andere die Festnahme als „problemlos“. Eine Polizistin sagte wiederum, daß Köbrich vom Zugführer des Einsatzes als ganz normaler „Störer“ eingestuft wurde, der nicht wegen einer Straftat, sondern nur zur Abwendung einer Straftat in Gewahrsam genommen wurde.
Die Freunde und Gewerkschaftskollegen versicherten dagegen als Zeugen, Köbrich sei nicht handgreiflich geworden. „Hansi“ sei lediglich über ein paar Hecken gesprungen, weil ihn die Polizeiabsperrung beengte. Damit habe er wohl „den Jagdinstinkt der Polizisten geweckt“, vermutete sein Schwager. Oberstaatsanwalt Weber war sich sicher, daß sich der Angeklagte „irgendwo renitent verhalten habe, aber an welcher Stelle und mit welcher strafrechtlichen Qualität“ sei nicht feststellbar. plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen