Betreuung: Junge Flüchtlinge brauchen Hilfe
Immer mehr minderjährige Flüchtlinge kommen ohne Begleitung nach Hamburg. Amtsvormünder sind überlastet, jetzt werden Ehrenamtliche gesucht.
Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Hamburg steigt an. Allein im Jahr 2010 kamen 414 junge Menschen ohne Eltern in die Stadt, und im Jahr 2011 ist der Andrang sogar noch höher. Flüchtlingsverbände, Kinderschutzbund, Diakonie und ein Schulleiter rufen nun Bürger dazu auf, die Vormundschaft für diese Kinder zu übernehmen. Die Amtsvormünder hätten zu viele Mündel und zu wenig Zeit.
Die meisten jungen Flüchtlinge kommen aus dem kriegserschütterten Afghanistan. Früher wurden viele an die EU-Grenze nach Griechenland zurück geschickt, berichtet die kirchliche Flüchtlingsbeauftragte Fanny Dethloff. "Das ist seit Januar gestoppt". Doch die Zahl der Flüchtlinge steigt insgesamt. "Hamburg ist als Hafenstadt ein Anlaufpunkt", erklärt Sozialbehörden-Sprecherin Julia Seifert. Nur bleiben die Minderjährigen in der Stadt und werden nicht auf andere Bundesländer verteilt.
Dass mehr junge Flüchtlinge kommen, hat Schulleiter Andreas Beyerle täglich vor Augen. An seiner Gewerbeschule 8 an der Sorbenstraße gibt es Vorbereitungsklassen, in denen Migranten binnen zwei Jahren einen Schulabschluss machen können. "Noch 2005 hatten wir nur eine Klasse, jetzt sind es acht",sagt er. Die Schüler bekämen ihre Vormünder viel zu selten zu Gesicht, meist nur bei der Zeugnisausgabe. "Wir brauchen aber Personen, die die Kinder bei schulischen Dingen begleiten und mit ihnen Entscheidungen treffen". Es ginge auch um praktische Dinge wie einen Therapieplatz oder Nachhilfe, ergänzt Fanny Dethlof. Ein Schüler Beyerles hatte Monate auf ein Konto gewartet, weil der Amtsvormund keine Zeit fand.
"Die Kinder brauchen Menschen, die mit ihnen in Beziehung gehen", sagt Manfred Gutke vom Kinderschutzbund. Dafür hätten die Amtsvormünder, die bis zu 100 Mündel betreuen, nicht die Zeit.
Nun gibt es eine Gesetzesänderung: Ab Juli dürfen Amtsvormünder nur noch maximal 50 Mündel haben und sollen diese monatlich besuchen. Dafür müssen Mitarbeiter eingestellt werden, die Bezirke sprechen gar von 100 Stellen. Die Sozialbehörde sei dabei zu prüfen, "welche Auswirkungen das Gesetz hat", sagt Seifert. Die Schwierigkeiten mit der steigenden Zahl junger Flüchtlinge liegen aber weniger darin, einen Vormund zu finden, als sie unterzubringen.
Doch der Kinderschutzbund kritisiert die Praxis der Amtsvormundschaft an sich. "Selbst wenn es nur noch 30 Mündel pro Mitarbeiter sind, ist das noch zu viel", sagt Manfred Gutke. Das Gesetz sehe bewusst vor, ehrenamtliche Vormünder, die sich intensiver kümmern können, zu bevorzugen. Das werde permanent umgangen. "Wir müssen alles tun, um diese Kinder zu integrieren", ergänzt Dethloff. "Sie sind hier und werden so schnell nicht wieder gehen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen