: Betr.: "Phantasielos", taz vom 12.3.94
betr.: „Phantasielos“,
taz vom 12.3.94
1. Die ÖTV ist nicht die „Gewerkschaft der Bürokratie“; die überwältigende Mehrheit ihrer Mitglieder üben sehr praktische, konkrete Tätigkeiten, wie die Müllmänner und Krankenschwestern, aus, die in der Zeit vor dem Tarifabschluß in Warnstreiks in der Öffentlichkeit klargemacht haben, daß es gerade nicht überbezahlte Bonzen sind, die hier für höhere Gehälter streiken.
2. „Wozu also ernsthaft über beschäftigungsschaffende Maßnahmen wie weitere Arbeitszeitverkürzungen nachdenken, über Umverteilungskomponenten zugunsten der unteren Lohngruppen, über Lohnabbau als Solidaritätsbeitrag zwischen Arbeitsbesitzern und Arbeitslosen?“ – An dieser Stelle glaubte ich zuerst, nicht richtig zu lesen oder im Eifer der Lektüre die taz mit dem Handelsblatt verwechselt zu haben. Seit wann sind Arbeitnehmer im Kapitalismus „Arbeitsplatzbesitzer“? Und wieso kein Wort darüber, daß Millionen von abhängig Beschäftigten in diesem Land (nicht nur im öffentlichen Dienst, aber eben auch und nicht zuletzt dort) nach Jahren des Reallohnabbaus kaum noch ihren ganz normalen Lebensunterhalt bestreiten können? Und wieso kein Wort darüber, daß derselbe Staat, der seinen „Dienern“ nicht einmal den Erhalt ihres Realeinkommens verschaffen will, sechs bis sieben Milliarden für den Bau der überflüssigen Transrapidstrecke bereitstellt und Exporte (u.a. von Waffen!) bei Zahlungsunfähigkeit des Käufers aus Steuermitteln bezahlt (Hermes-Bürgschaften).
Auf der nächsten Seite derselben Ausgabe kann mensch einige Fotos von Karl Marx anläßlich seines Todestages betrachten. Wie wäre es, wenn die taz sich mal eine „MEW“ anschaffte? Dort kann mensch nachlesen, wie Reichtümer im Kapitalismus verteilt sind und wer da „Besitzer“ ist und wer nicht. Eugen Siepmann, Essen
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